Sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen
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Definition:
Sexuelle Misshandlung von Kindern oder Jugendlichen. Eine Form der Kindesmisshandlung. Dazu zählen auch alle sexuellen Handlungen die an oder vor einem Kind entweder gegen dessen Willen vorgenommen werden oder denen das Kind aufgrund körperlicher, psychischer, kognitiver oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen kann. Der Begriff wird in der Regel nicht für sexuelle Handlungen Minderjähriger untereinander verwendet.
Häufigkeit:
In Deutschland jährlich mehr als 15.000 Fälle. Dazu kommt eine vermutlich hohe Dunkelziffer.
Symptome:
Überwiegend unspezifisch. Häufig Verhaltensstörungen und psychische Störungen wie Depression, Angstzustände und posttraumatische Belastungsstörung. Genitale oder anale Verletzungen sind starke Indizien, kommen jedoch selten vor.
Befunde:
Nach einem Missbrauch ggf. sofort Urin asservieren, für mikrobiologische Untersuchung sowie ggf. nach Einfrieren für ein Drogenscreening. Unverzügliche Spurensicherung durch Spezialist*in, möglichst innerhalb von 24 Stunden. Liegt der Missbrauch länger als 72 Stunden zurück, sind Spuren nur noch schwer zu sichern.
Diagnostik:
Die Notwendigkeit und Reihenfolge der einzelnen Untersuchungen sollen im multiprofessionellen Team festgelegt werden. Solche Teams schließen ärztliche, sozialpädagogische, psychologische und pflegerische Fachkräfte ein und stehen unter fachärztlicher pädiatrischer, kinderchirurgischer oder kinder- und jugendpsychiatrischer Leitung. Forensisches Interview nur durch entsprechend geschulte Fachkraft. Die körperliche Untersuchung wird in der Regel von Kinderärzt*innen mit Spezialausbildung durchgeführt.
Therapie:
Ggf. Postexpositionsprophylaxe sexuell übertragbarer Krankheiten und postkoitale Kontrazeption (enge Zeitfenster beachten). Neue Missbrauchsvorfälle verhindern durch psychosoziale Interventionen, die in der Regel das Jugendamt veranlasst und koordiniert sowie ggf. durch Anzeige und Strafverfolgung der Täter*innen. Ggf. vorübergehende stationäre Aufnahme des Kindes zu dessen Schutz. Psychische Folgen des Missbrauchs erfordern in der Regel eine psychotherapeutische Behandlung mit familientherapeutischer Ausrichtung.
- Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ). Kindesmisshandlung, - missbrauch, -vernachlässigung unter Einbindung der Jugendhilfe und Pädagogik (Kinderschutzleitlinie). AWMF-Leitlinie Nr. 027-069. S3, Stand 2019. www.awmf.org
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- Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
- Marlies Karsch-Völk, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, München
Frühere Autor*innen
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok(NEL, https://legehandboka.no/).