Zum Hauptinhalt springen

Akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM)

Die akute disseminierte Enzephalomyelitis ist eine Erkrankung des zentralen Nervensystems. Sie betrifft hauptsächlich Kinder und tritt meist nach vorhergehenden Infektionen oder (selten) nach Impfungen auf. Zu den Symptomen zählen diverse neurologische Störungen wie Kopfschmerzen, Verwirrtheit und Apathie.

Zuletzt revidiert:


Was ist die akute disseminierte Enzephalomyelitis?

Definition

Die akute disseminierte Enzephalomyelinitis (ADEM) ist eine seltene entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems. Sie betrifft überwiegend die weiße Substanz im Gehirn und im Rückenmark.

Die Erkrankung tritt hauptsächlich bei Kindern nach Infektionen oder deutlich seltener nach Impfungen auf.

Symptome

Die Symptome treten typischerweise 1–2 Wochen nach einer Infektion auf. Sie setzen meist mäßig schnell bis schnell ein. Am Beginn der Erkrankung kann eine Vorphase mit einem allgemeinen Krankheitsgefühl und unspezifischen Beschwerden stehen.

Die akute disseminierte Enzephalomyelitis geht bei den betroffenen Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen und Störungen des Gehirns (Enzephalopathie) einher. Dazu zählen:

  • Kopfschmerzen
  • Erbrechen
  • Verhaltensänderungen und Verwirrtheit
  • Beeinträchtigung der Wachheit (die Ausprägung reicht von Apathie bis Koma)

Weitere Symptome können sein:

  • Fieber
  • Koordinationsstörungen (zerebelläre Ataxie)
  • Beeinträchtigung der Hirnnervenfunktionen
  • krankhafte Reflexe bzw. Muskelkontraktionen (Pyramidenbahnzeichen)
  • Sprachprobleme
  • Sehstörungen bzw. Augenschmerzen bei Entzündung des Sehnervs
  • verringerte Berührungsempfindlichkeit auf einer Körperhälfte (Hemihypästhesie)

Vom ersten Auftreten der Beschwerden bis zur maximalen Ausprägung vergehen in der Regel etwa 4–7 Tage.

Die Erkrankung hat auf den ersten Blick starke Ähnlichkeit mit der Multiplen Sklerose. Während Letztere häufig in Schüben immer wiederkehrt, sind die Symptome bei der ADEM in der Regel nur vorübergehend. Sie treten gesammelt und in einer einmaligen Krankheitsperiode mit einer Dauer von bis zu 3 Monaten auf. Während der Erkrankung kann die Ausprägung einzelner Beschwerden schwanken.

Ursachen

Als Auslöser vermutet wird eine autoimmune Funktionsstörung bei Personen, die genetisch dafür anfällig sind.

ADEM tritt häufig nach einer vorhergehenden Infektion (bei mehr als 90 % der Betroffenen) oder seltener nach einer Impfung (ca. 5 % der Betroffenen) auf. Die auslösenden Infektionen können sowohl durch Viren (z. B. MasernWindpocken, Mononukleose, Herpes simplexGrippe oder COVID-19) als auch durch Bakterien (z. B. Borrelien) entstehen.

Selten kann auch eine Impfung eine ADEM auslösen. Eine Erstimpfung ist häufiger der Auslöser als eine Auffrischimpfung. Es gibt keine bestimmte Impfung, die häufiger Auslöser ist als andere.

Es sind allerdings auch Fälle ohne vorhergehende Infektion oder Impfung bekannt.

Häufigkeit

Die Häufigkeit der ADEM liegt bei 0,2–0,4 Fälle auf 100.000 Personen. Überwiegend sind Kinder im Alter zwischen 3 und 8 Jahren betroffen. Bei Erwachsenen liegt das Durchschnittsalter bei 37 Jahren. Frauen und Männer sind etwa gleich oft betroffen. Die Erkrankung tritt häufiger im Winter und Frühling als während der anderen Jahreszeiten auf.

Untersuchungen

In der Hausarztpraxis

Die Diagnose wird auf der Grundlage des typischen Krankheitsverlaufs sowie bildgebender Verfahren (bei Spezialist*innen) gestellt. Bei Verdacht auf ADEM kann zudem eine Blutuntersuchung erfolgen. In rund der Hälfte aller Fälle lassen sich erhöhte Entzündungswerte feststellen.

Bei Spezialist*innen

  • Magnetresonanztomografie (MRT)
  • Serologisches Screening (Bluttest) auf eine bestimmte Antikörperart (MOG-Antikörper gegen das Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein)
  • Liquoruntersuchung: Untersuchung von Rückenmarksflüssigkeit

Behandlung

Es gibt wenige experimentelle Studien, daher beruht die Behandlung auf Beobachtungsstudien und Expertenmeinung. Ca. 1/4 der in einer Klinik behandelten Kinder benötigt eine Behandlung auf einer Intensivstation.

ADEM wird zunächst mit Kortikosteroiden (starke Entzündungshemmer) behandelt. Zu Beginn erhalten die Patient*innen das Medikament für 3–5 Tage in hoher Dosierung, anschließend folgt das Ausschleichen über 4–6 Wochen.

Wenn diese Therapie nicht anschlägt, stehen zwei weitere Möglichkeiten zur Verfügung:

  • Therapie mit intravenösen Immunglobulinen (Antikörper)
  • Blutplasma-Austausch (Plasmapherese)

Die Behandlung zielt darauf ab, bleibende Schäden zu verhindern. Eine frühzeitige Behandlung führt möglicherweise zu einem besseren Ergebnis.

Prognose

Ein ADEM-Schub dauert bis zu 3 Monate. Wenn keine wiederkehrenden Symptome auftreten, ist die Prognose gut. In der Mehrzahl der Fälle tritt nach einigen Wochen bis Monaten die komplette Genesung ein, wobei die Prognose bei Kindern besser als bei Erwachsenen ist.

Mögliche Komplikationen sind:

  • Blutungen (Hämorrhagien)
  • erhöhter Hirndruck
  • Schäden durch Sauerstoffmangel und unzureichende Durchblutung

In seltenen Fällen bleiben langfristige motorische Probleme oder Sehstörungen zurück. Bei rund 1/4 der Betroffenen lässt sich eine verminderte Lebensqualität zusammen mit einer verminderten geistigen Leistungsfähigkeit  beobachten. Die Todesrate liegt unter 2 %.

In einigen Fällen kann die Erkrankung nach Abklingen der Symptome erneut ausbrechen. Etwa 3–6 Monate nach Krankheitsbeginn wird eine erneute MRT-Untersuchung zur Kontrolle empfohlen.

Weitere Informationen

Autorin

  • Nina Herrmann, Wissenschaftsjournalistin, Flensburg

Quellen

Literatur

Dieser Artikel basiert auf dem Fachartikel Akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM). Nachfolgend finden Sie die Literaturliste aus diesem Dokument.

  1. Gärtner J, Huppke P. Multiple Sklerose und andere entzündliche demyelinisierende Erkrankungen des zentralen Nervensystems bei Kindern und Jugendlichen. eMedpedia, publiziert 12.03.19, Zugriff 18.03.23. www.springermedizin.de 
  2. Wolska-Krawczyk M. Akute disseminierte Enzephalomyelitis. Radiologe 2022; 62: 316-321. doi:10.1007/s00117-022-00982-z DOI 
  3. Rauer S, Kaiser R. Demyelinisierende Erkrankungen. In: Hufschmidt A, Lücking C, Rauer S (Hrsg.): Neurologie compact; S. 242. Stuttgart: Georg Thieme Verlag, 2013.
  4. Jarius S, Paul F, Aktas O, et al. MOG-Enzephalomyelitis: Internationale Empfehlungen zu Diagnose und Antikörpertestung. Nervenarzt 2018; 89: 1388–1399. doi:10.1007/s00115-018-0607-0 DOI 
  5. Wang C. Assessment and Management of Acute Disseminated Encephalomyelitis (ADEM) in the Pediatric Patient. Pediatric Drugs 2021; 23: 213-221. doi:10.1007/s40272-021-00441-7 DOI 
  6. Leake JA, Albani S, Kao AS, et al. Acute disseminated encephalomyelitis in childhood: epidemiologic, clinical and laboratory features. Pediatr Infect Dis J 2004; 23: 756-764. www.ncbi.nlm.nih.gov 
  7. Li K, Li M, Wen L, et al. Clinical Presentation and Outcomes of Acute Disseminated Encephalomyelitis in Adults Worldwide: Systematic Review and Meta-Analysis. Front Immunol 2022; 13: 870867. doi:10.3389/fimmu.2022.870867 DOI 
  8. Young N, Weinshenker B, Lucchinetti C. Acute Disseminated Encephalomyelitis: Current Understanding and Controversies. Semin Neurol 2008; 28: 84-94. doi:10.1055/s-2007-1019130 DOI 
  9. Paolilo R, Deiva K, Neuteboom R, et al. Acute Disseminated Encephalomyelitis: Current Perspectives. Children 2020; 7: 1-15. doi:10.3390/children7110210 DOI 
  10. Akute demyelinisierende Enzephalomyelitis- ADEM. Neurologienetz. Zugriff 18.03.23. www.neurologienetz.de 
  11. Gerhard A, Prüß H, Franke C. Manifestationen im Zentralnervensystem nach COVID-19. Nervenarzt 2022; 93: 769–778. doi:10.1007/s00115-022-01294-2 DOI 
  12. Reichard R, Kashani K, Boire N, et al. Neuropathology of COVID‐19: a spectrum of vascular and acute disseminated encephalomyelitis (ADEM)‐like pathology. Acta Neuropathologica 2020; 140: 1-6. doi:10.1007/s00401-020-02166-2 DOI 
  13. Mumoli L, Vescio V, Pirritano D, et al. ADEM anti‐MOG antibody‐positive after SARS‐CoV2 vaccination. Neurological Sciences 2022; 43: 763–766. doi:10.1007/s10072-021-05761-7 DOI 
  14. Gesellschaft für Neuropädiatrie. S1-Leitlinie Multiple Sklerose, pädiatrische. AWMF-Leitlinie 022-014, Stand 2016. www.awmf.org 
  15. Massa S, Fracchiolla A, Neglia C, et al. Update on Acute Disseminated Encephalomyelitis in Children and Adolescents. Children 2021; 8: 280. doi:10.3390/children8040280 DOI 
  16. Deutsche Gesellschaft für Neurologie. S2k-Leitlinie Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose, Neuromyelitis Optica Spektrum und MOG-IgG-assoziierte Erkrankungen – Living Guideline. AWMF-Leitlinie 030-050, Stand 2022. www.awmf.org 
  17. Alper G. Acute disseminated encephalomyelitis. J Child Neurol 2012; 27:1408. PubMed 
  18. Oksuzler YF, Cakmakci H, Kurul S. Diagnostic value of diffusion-weighted magnetic resonance imaging in pediatric cerebral diseases. Pediatr Neurol 2005; 32: 325-33. PubMed 
  19. Brenton J. Acute disseminated encephalomyelitis. Medscape, updated Nov 08, 2018. Zugriff 18.03.23. emedicine.medscape.com