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Belastungsinkontinenz (Stressinkontinenz)

Als Belastungs- oder Stressinkontinenz bezeichnet man den unfreiwilligen Abgang kleiner Mengen Urin beim Husten, Niesen, Lachen oder bei körperlicher Anstrengung. Ursache ist eine erworbene Schwäche der Bänder und Muskeln, die die Harnblase verschließen. Das Alter, Schwangerschaften und Geburten sind die wichtigsten Risikofaktoren. Harninkontinenz belastet Betroffene stark. Es gibt jedoch wirksame Mittel und Methoden, die die Kontinenz verbessern können.

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Was ist Belastungsinkontinenz?

Als Belastungsinkontinenz oder Stressinkontinenz bezeichnet man den unfreiwilligen Abgang kleiner Mengen Urin beim Husten, Niesen, Lachen oder körperlicher Anstrengung. Betroffene Menschen, meistens Frauen, weisen eine Schwäche der muskulären und bindegewebigen Strukturen auf, die für den wasserdichten Verschluss der Harnblase zuständig sind. Bei einer zusätzlichen Druckerhöhung im Bauchraum – z. B. durch Lachen oder Husten – geht ein Teil des Urins, der sich in der Blase befindet, über die Harnröhre ab.

Harninkontinenz ist ein häufiges Problem, das in erster Linie Frauen betrifft. Ungefähr die Hälfte dieser Frauen leidet unter einer Belastungsinkontinenz. Von den übrigen Betroffenen haben 10 % eine sogenannte Dranginkontinenz, der Rest eine Mischform beider Inkontinenzformen bzw. andere, seltenere Inkontinenzursachen. 

Harninkontinenz hat körperliche, psychische und soziale Auswirkungen auf das Wohlbefinden und schmälert die Lebensqualität Betroffener. Weniger als die Hälfte der Personen, die eine Harninkontinenz haben, suchen jedoch mit ihrem Problem eine Arztpraxis auf. Dabei gibt es wirksame Behandlungen (siehe unten).

Symptome

Typisch ist unwillkürlicher Harnverlust im Zusammenhang mit körperlicher Anstrengung, Husten, Niesen, Lachen, Pressen, schwerem Heben oder anderen Aktivitäten, die den Druck im Bauchraum erhöhen. Die austretenden Harnmengen sind meist gering. Manchmal treten zusätzlich Drangsymptome auf, v. a. beim Übergang vom Sitzen oder Liegen ins Stehen.

Ursachen

Die Belastungsinkontinenz wird meist durch mehrere Faktoren verursacht. Dabei steht eine Schwäche der Beckenbodenmuskulatur, des Stützapparats der Harnröhre und/oder des Schamnervs (Pudendusnerv) im Vordergrund. Zusammen sorgen diese Strukturen für den wasserdichten Verschluss der Harnblase und die willkürliche Kontrolle über das Wasserlassen. Eine Schwächung erfahren sie vor allem im Alter und durch die hormonelle Umstellung während der Wechseljahre.

Schwangerschaften und Geburten (insbesondere bei vaginaler Entbindung) begünstigen die Entwicklung einer Belastungsinkontinenz.

Bei Männern kann sich eine Belastungsinkontinenz nach der operativen Entfernung der Prostata einstellen.

Risikofaktoren

Häufigkeit

  • Etwa 10–20 % aller erwachsenen Frauen sind von Inkontinenz  betroffen.
  • Die Häufigkeit nimmt mit dem Alter zu. Ab dem 60. Lebensjahr leiden bis ca. 40 % der Frauen an Inkontinenzsymptomen.
  • Drei Monate nach der Entbindung leiden etwa 30 % aller Mütter unter Inkontinenzbeschwerden.

Untersuchungen

Da Betroffene die Beschwerden häufig selbst nicht ansprechen, sollten sie bei entsprechendem Verdacht gezielt danach gefragt werden.

Anamnesegespräch

  • Im Anamnesegespräch werden Art und Ausmaß der Inkontinenzbeschwerden sowie weitere Symptome erfragt.
  • Ebenso werden Vorerkrankungen, vorangegangene Schwangerschaften und Geburten, Medikamente und Operationen erfasst.
  • Ggf. können verschiedene Fragebögen eingesetzt werden.
  • Es ist hilfreich, wenn Sie ein sog. Miktionstagebuch (Miktion ist lateinisch für Wasserlassen) führen, mit dem Sie Ihre Trink- und Toilettengewohnheiten über einige Tage erfassen. Bei der Deutschen Kontinenz Gesellschaft  finden Sie einen Vordruck.

Körperliche Untersuchung

  • In der Hausarztpraxis wird eine allgemeine körperliche Untersuchung durchgeführt.
  • Bei unklaren Beschwerden kann ein einfacher Stresstest durchgeführt werden, bei dem beobachtet wird, ob beim Husten Harn abgeht.
  • Eine gynäkologische Untersuchung erfolgt in der Regel in der Frauenarztpraxis.

Laboruntersuchungen

  • Mit Urinteststreifen sollte ein Harnwegsinfekt ausgeschlossen werden, der eine Inkontinenz verschlimmern kann. 
  • Bei Hinweisen auf einen Harnstau werden die Nierenwerte im Blut überprüft.

Ultraschall

  • Mit einer Ultraschalluntersuchung können mögliche Erkrankungen der Harnblase festgestellt werden.
  • Das Blasenvolumen kann vor und nach dem Wasserlassen gemessen werden, um die Restharnmenge zu bestimmen.

Weitere Untersuchungen

  • Bei Therapieversagen, bei Verdacht auf neurologische Erkrankungen oder bei geplanter Operation werden weitere Untersuchungen bei Spezialist*innen veranlasst.
  • Diese verfügen über spezielle apparative Untersuchungstechniken, z. B. Ultraschalluntersuchungen der Beckenbodenregion und die Blasendruckmessung (die sog. urodynamische Untersuchung).
  • Bei der Blasendruckmessung werden Drucksonden in Harnblase und Enddarm eingeführt und eine definierte Menge Flüssigkeit in die vorher geleerte Harnblase gefüllt. Dies erlaubt, das Ausmaß und die Ursache der Inkontinenz näher zu bestimmen.

Behandlung

Ziel der Behandlung ist es, die Harninkontinenz so weit zu verbessern, dass die Betroffenen in ihrer Lebensqualität nicht mehr eingeschränkt sind.

Nicht-operative Methoden wie Beckenbodentraining und Medikamente sind die Behandlung der 1. Wahl und bei vielen Patientinnen ausreichend. Bei unzureichendem Behandlungserfolg stehen operative Methoden zur Verfügung.

Beckenbodentraining

Beckenbodentraining ist die wichtigste Behandlungsmethode bei unfreiwilligem Harnabgang. Bei einer Belastungsinkontinenz soll ein individuell angeleitetes Beckenbodentraining über mehr als 3 Monate durchgeführt werden. Für eine anhaltende Wirkung ist es zentral, dass die erlernten Übungen regelmäßig zu Hause fortgesetzt werden.

In der Schwangerschaft und nach der Geburt empfiehlt sich ebenfalls Beckenbodentraining zur Vorbeugung und Therapie einer Belastungsinkontinenz.

Wenn die Übungen richtig und dauerhaft durchgeführt werden, sind sie eine wirksame und einfache Behandlung ohne Nebenwirkungen. Die Wirkung tritt erst einige Wochen nach Beginn der Übungen auf – versuchen Sie daher, die Übungen nicht zu frühzeitig zu beenden, wenn sich scheinbar keine Besserung einstellt.

Elektrostimulation

Die Elektrostimulation dient als „Starthilfe für ein effektives Beckenbodentraining bei Patientinnen, die Probleme haben, ihre Beckenbodenmuskulatur zu aktivieren. Durch die elektrische Stimulation der Muskeln kann erlernt werden, die Muskeln des Beckenbodens überhaupt erst wahrzunehmen. Es handelt sich um ein kleines elektrisches Handgerät, das mit einer Vaginalsonde verbunden ist, die in der Scheide so wie ein Tampon platziert wird und dort Impulse auf die Beckenbodenmuskulatur abgibt. Die Kombination mit Beckenbodengymnastik verspricht gute Erfolge. Eine Wirksamkeit der Elektrostimulation ohne gleichzeitiges Beckenbodentraining konnte nicht gezeigt werden.

Mechanische Hilfsmittel

Es gibt unterschiedliche mechanische Hilfsmittel, die in die Scheide oder die Harnröhre eingeführt werden, um den ungewollten Abgang von Harn zu verhindern (Pessare, Spezialtampons, Harnröhrenstöpsel). Ihre Wirksamkeit ist nicht gesichert. Lassen Sie sich dazu ärztlich beraten.

Aufsaugende Hilfsmittel

Weiterhin steht Menschen mit Harninkontinenz eine große Auswahl an qualitativ hochwertigen Windeln, Einlagen, speziellen Unterhosen und Matratzenschutz zur Verfügung. Informationen und Hilfe erhalten Sie in Ihrer Hausarztpraxis, in Apotheken und Sanitätshäusern. Die gesetzliche Krankenversicherung trägt die Kosten.

Medikamentöse Therapie

Lokale Östrogentherapie

Von einer Harninkontinenz betroffene Frauen nach der Menopause sollten mit östrogenhaltigen Vaginalzäpchen oder -salben behandelt werden. Dadurch lassen sich vaginale Beschwerden und Inkontinenz verbessern. Die Einnahme von Östrogentabletten kann hingegen eine Inkontinenz verschlechtern oder auslösen. Zu beachten sind bestimmte Erkrankungen, die gegen eine lokale Östrogenbehandlung sprechen. Lassen Sie sich in Ihrer Frauenarztpraxis beraten.

Duloxetin

In Fällen, wo eine vorübergehende Besserung der Beschwerden erreicht werden soll, wird Duloxetin empfohlen, ursprünglich ein Mittel gegen Depressionen. Es konnte nachgewiesen werden, dass Frauen mit Belastungsinkontinenz unter Duloxetin eine gesteigerte Lebensqualität haben. Die Wirkung tritt nach etwa 2 Wochen ein und sollte nach spätestens 4 Wochen überprüft werden. Auch evtl. auftretende Nebenwirkungen sollten beobachtet werden.

Operative Behandlung

Eine Operation sollte erst dann erwogen werden, wenn alle konservativen, nicht-operativen Maßnahmen über einen längeren Zeitraum nicht zur erwünschten Wirkung geführt haben. Zwar verspricht eine Operation eine deutlichere Besserung bis Beseitigung der Inkontinenzbeschwerden, dieser Vorteil sollte aber gegen die möglichen Komplikationen während oder nach der Operation abgewogen werden.

  • Gegenwärtig werden drei Operationstechniken regelmäßig durchgeführt: Einlage eines Bandes unter der Harnröhre (Tension-free Vaginal Tape, TVT), Injektionen einer volumenerhöhenden Substanz um die Harnröhre herum (periurethrale Injektion) und die sog. Kolposuspension, bei der Blasenhals und Scheide angehoben werden.
  • Die Heilungsraten sind gut und liegen bei bis zu 85 % nach 12 Monaten.
  • Risiken einer Operation sind u. a. Verletzungen der Harnblase, Blutungen, Infektionen, Schmerzen und Blasenentleerungsstörungen.

Bandeinlage unter der Harnröhre

Die operative Therapie der 1. Wahl bei Belastungsinkontinenz ist die Bandeinlage unter der Harnröhre. Dabei wird ein künstliches Band unter den mittleren Teil der Harnröhre gelegt, um diese zu stabilisieren. Es gibt verschiedene Operationstechniken. Der Eingriff kann ambulant unter örtlicher Betäubung durchgeführt werden.

Was können Sie selbst tun?

Es gibt einige Dinge, die Sie selbst unternehmen können, wenn Sie an einer Belastungsinkontinenz leiden:

  • Nehmen Sie eine normale Trinkmenge zu sich. Konzentrierter Urin kann die Beschwerden verstärken und erhöht das Risiko für Harnwegsinfekte.
  • Vermeiden Sie Verstopfungen.
  • Leeren Sie Ihre Harnblase vor Anstrengungen, von denen Sie wissen, dass sie zu unfreiwilligem Harnabgang führen können (z. B. Sport, Tanzen).
  • Vermeiden oder verringern Sie Übergewicht .
  • Vermeiden oder behandeln Sie einen chronischen Husten. Das bedeutet: Rauchstopp, Therapie bestehender Erkrankungen wie Asthma und chronische Bronchitis (COPD).

Prognose

Eine unbehandelte Belastungsinkontinenz stellt eine hohe körperliche, psychische und soziale Belastung für Betroffene dar. Erhöht ist auch das Risiko für Harnwegsinfekte.

Bei richtiger Anwendung der verfügbaren Behandlungsmethoden kann vielen Patientinnen geholfen werden.

Weitere Informationen

Autorin

  • Martina Bujard, Wissenschaftsjournalistin, Wiesbaden