Dranginkontinenz
Dranginkontinenz ist der unfreiwillige Harnverlust nach plötzlichem und zwingendem Harndrang. Wenn Sie die unwillkürliche Blasenentleerung nicht unterbrechen können, kann dies zur Abgabe einer großen Menge Urin führen.
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https://deximed.de/home/klinische-themen/niere-harnwege/patienteninformationen/harninkontinenz/dranginkontinenz/Was ist Dranginkontinenz?
Definition
Dranginkontinenz ist der unfreiwillige Harnverlust nach plötzlichem und zwingendem Harndrang. Bei manchen Betroffenen äußern sich die Beschwerden als häufiger und dringender Harndrang, ohne dass unfreiwillig Harn abgegeben wird. In diesem Fall spricht man von einer Drangsymptomatik.
Die Beschwerden können durch eine Grunderkrankung verursacht werden oder unabhängig entstehen. Unabhängig davon, ob unfreiwillig Harn abgegeben wird oder nicht, wird das Problem auch als „überaktive Blase“ bezeichnet, wenn keine andere Erkrankung als Ursache festgestellt wird. Eine Mischform mit zusätzlicher Belastungsinkontinenz ist möglich.
Symptome
Das Krankheitsbild der überaktiven Blase (ÜAB, Overactive Bladder) beinhaltet die folgenden Symptome:
- zu häufiges Wasserlassen (mehr als 8 Toilettengänge in 24 Stunden bei normaler Harnmenge von bis zu 2,8 l in 24 Stunden)
- plötzlicher, ohne Vorwarnung einsetzender Harndrang (imperativer Harndrang)
- nächtliches Wasserlassen (Nykturie)
- mit oder ohne Harninkontinenz
Ursachen
Die Ursache der Beschwerden ist oft unklar. U. a. spielen altersbedingte und hormonelle Veränderungen eine Rolle. Die Inkontinenz beruht auf der fehlerhaften Koordination bei der Steuerung des Muskels, der die Blase entleert. Es treten unwillkürliche Kontraktionen des Harnblasenmuskels auf, die zu unfreiwilligem Harnverlust führen. Zudem besteht häufig eine Überempfindlichkeit der Blasenwand.
In den meisten Fällen werden bei den Betroffenen keine ursächlichen Erkrankungen festgestellt. Die Dranginkontinenz ist dann ein Symptom einer überaktiven Blase.
Beschwerden mit Drangsymptomatik wie bei der Dranginkontinenz können aber auch in Zusammenhang mit einer akuten Harnwegsinfektion auftreten. Weitere mögliche Ursachen für die Symptome können verschiedene andere Krankheiten, wie z. B. Multiple Sklerose (MS), Parkinson-Syndrom, Diabetes, Schlaganfall oder Verletzungen des Rückenmarks sein.
Begünstigende Faktoren für eine Dranginkontinenz sind fortgeschrittenes Lebensalter, Übergewicht, eingeschränkte Beweglichkeit, Nebenwirkungen von Medikamenten, übermäßiger Kaffee- und Teekonsum, familiäre Veranlagung und psychische Belastung.
Häufigkeit
- Je nach Alter geben etwa 3–55 % aller Frauen an, dass sie unfreiwillig Harn verlieren. Mit zunehmendem Alter kommt Inkontinenz häufiger vor.
- Dranginkontinenz ist die häufigste Form der Harninkontinenz.
Untersuchungen
- Ziel der Untersuchungen ist, Art und ggf. Ursache der Inkontinenz festzustellen.
- In der Arztpraxis werden Sie ausführlich zu den Symptomen und Vorerkrankungen befragt.
- Zudem erfolgt eine körperliche Untersuchung.
- Sehr hilfreich kann das Führen eines sog. Miktionstagebuches (Toiletten-/Trinkprotokoll) über mindestens 3 Tage sein, um den Schweregrad zu erfassen.
- Beim sog. Vorlagen-Wiegetest (Pad-Test) werden verwendete Vorlagen über einen bestimmten Zeitraum gewogen, um die Menge des Urinverlustes zu bestimmen.
- Mit einer Urinprobe werden Harnwegsinfektionen sowie Blut, Eiweiß oder Zucker im Urin ausgeschlossen.
- Mit Ultraschall kann die Blase untersucht und die Restharnmenge bestimmt werden.
- Bei Anzeichen einer der Drangsymptomatik zugrunde liegenden Erkrankung werden Sie zu Spezialist*innen überwiesen, um neurologische, gynäkologische oder urologische Erkrankungen abklären zu lassen.
- Wenn Unklarheiten bei der Diagnose auftreten oder die Behandlung nicht hilft, kann es sinnvoll sein, Sie zu einer sog. urodynamischen Untersuchung zu überweisen. Bei dieser Untersuchung werden Druckmessungen durchgeführt, die die Diagnose erhärten können.
- Ggf. kann auch eine Blasenspiegelung (Zystoskopie) durchgeführt werden.
Behandlung
- Die Ziele der Behandlung sind die Symptome zu lindern, Beeinträchtigungen zu verringern und die Lebensqualität zu verbessern.
- Mögliche Grunderkrankungen sollten behandelt werden.
- Die Behandlung der Dranginkontinenz erfolgt mehrstufig.
Beckenboden- und Blasentraining
- Eine grundlegende Behandlungsmethode sind Beckenbodenübungen. Sie helfen auch bei einer Belastungsinkontinenz.
- Am besten sollten die Übungen von Physiotherapeut*innen professionell angeleitet und danach dauerhaft und regelmäßig eigenständig von Ihnen zu Hause durchgeführt werden.
- Die Muskeln, die Sie trainieren sollen, sind die, die Sie verwenden, um eine laufende Blasenentleerung zu stoppen.
- Dabei können spezielle Vaginalkonen als Hilfsmittel verwendet werden. Es handelt sich um unterschiedlich schwere Gewichte, die in der Scheide platziert werden und so die Beckenbodenmuskulatur trainieren und stärken.
- Das Training kann auch mit Biofeedback oder oberflächlicher Elektrostimulation (ES) kombiniert werden.
- Blasentraining ist ein sorgfältig strukturiertes Übungsprogramm, bei dem Sie nach und nach die Zeit zwischen den Blasenentleerungen erhöhen. Das Ziel ist es, wieder die Kontrolle über Ihre Blasenfunktion zu erlangen und dieser wieder zu vertrauen.
Medikamentöse Therapie
- Wenn die o. g. Maßnahmen nicht ausreichen, können Medikamente verschrieben werden.
- Antimuskarinika (Anticholinergika) sind die wichtigsten Medikamente bei Dranginkontinenz und überaktiver Blase. Sie dämpfen die Überaktivität des die Blase entleerenden Muskels.
- Bei manchen Patient*innen können diese Medikamente Nebenwirkungen, wie z. B. Mundtrockenheit, Verstopfung, hohen Puls und Augenbeschwerden verursachen. Diese treten insbesondere zu Beginn der Therapie auf und werden in vielen Fällen im Verlauf besser.
- Alternativ können sog. Beta-3-Adrenorezeptor-Agonisten eingesetzt werden.
- Bei älteren Patient*innen sollten die Wirkstoffe nur mit Vorsicht angewandt werden.
- Die lokale Behandlung mit Östrogen nach den Wechseljahren verbessert die Symptome der überaktiven Blase und Dranginkontinenz.
- Eine systemische Hormonersatztherapie (HRT) kann dagegen eine Inkontinenz verursachen oder verschlechtern.
Operative Behandlung
Bei Versagen aller konservativer Behandlungen wird Ihnen möglicherweise auch eine operative Therapie empfohlen.
Botulinumtoxin
- Über eine Harnblasenspiegelung wird das Medikament Onabotulinumtoxin A in die Blasenwand eingespritzt.
- Die Wirkung ist jedoch zeitlich begrenzt. Somit muss die Behandlung zur dauerhaften Wirkung immer wieder in regelmäßigen Abständen durchgeführt werden.
- Unerwünschte Nebenwirkungen der Behandlung sind in seltenen Fällen Blasenentleerungsstörungen und Harnwegsinfekte.
Elektrische Neuromodulation
- Zur sakralen Neuromodulation werden im Rahmen einer Operation Stimulationselektroden in die Öffnungen für die Rückenmarksnerven des Kreuzbeins eingeführt, die über einen Schrittmacher dauerhaft bedient werden.
- Alternativ kann auch ein Nerv am Schienbein elektrisch stimuliert werden (sog. perkutane tibiale Nervenstimulation).
Harnblasenerweiterung/Harnableitung
- Nur wenn alle zuvor beschriebenen Behandlungen versagen und die Betroffenen stark unter den Beschwerden leiden, kann die Harnblasenerweiterung bzw. die Harnableitung als letzte Möglichkeit zur Verbesserung der Lebensqualität erwogen werden.
Weitere Hilfsmittel
- Es gibt eine Reihe von Hilfsmitteln für Menschen mit Inkontinenz, wie Spezialunterhosen, Vorlagen und Matratzenschutz. Diese sind in Apotheken und Gesundheitsfachgeschäften erhältlich. Hier werden Sie auf Wunsch auch beraten.
- Viele der erwähnten Hilfsmittel werden nach Verschreibung von der Krankenkasse bezahlt.
- Diese Hilfsmittel sollten jedoch keine Therapie ersetzen und möglichst nur vorübergehend eingesetzt werden.
Was können Sie selbst tun?
- Sie sollten täglich eine angemessene Flüssigkeitsmenge und möglichst wenig Koffein zu sich nehmen.
- Achten Sie auf Ihr Gewicht und nehmen Sie bei Übergewicht ab.
- Auch körperliche Aktivität ist empfehlenswert.
Prognose
Dranginkontinenz, die auf eine überaktive Blase zurückzuführen ist, verläuft häufig chronisch. Bei richtiger Behandlung erleben die meisten Betroffenen eine Verbesserung der Beschwerden.
Häufig sind alltägliche Aktivitäten durch die Beschwerden eingeschränkt. Manche empfinden ihre Inkontinenzbeschwerden als so belastend, dass eine soziale Isolation entsteht.
Weitere Informationen
- Überaktive Blase
- Harninkontinenz
- Belastungsinkontinenz
- Dranginkontinenz – Informationen für ärztliches Personal
- Deutsche Kontinenz-Gesellschaft: Toiletten- und Trinkprotokolle
- Deutsche Kontinenz-Gesellschaft: Heil- und Hilfsmittel
- Deutsche Kontinenz-Gesellschaft: Informationen für Patient*innen
Autorin
- Martina Bujard, Wissenschaftsjournalistin, Wiesbaden