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Arbeitskraft kostet

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Das Chaos an deutschen Flughäfen erhitzt die Gemüter. Viele können ihren Urlaub nicht antreten, Gepäck wird zurückgelassen, Flüge fallen aus und die Wartezeiten an den Flughäfen sind endlos. Grund dafür ist Personalmangel beim Bodenpersonal. Das alles erinnert irgendwie an den sogenannten „Pflegenotstand“ in deutschen Kliniken und den allgemeinen Personalmangel im Gesundheitssystem. In ermüdender Weise sind die Verantwortlichen überrumpelt von so einer Situation und rätseln öffentlich, was die Ursachen sein könnten.

Zur Arbeitssituation des Bodenpersonals an deutschen Flughäfen habe ich zufällig Einblicke aus erster Hand von einer Freundin. Sie hatte dort einige Jahre gejobbt: sehr schlechte Bezahlung, ausgesprochen miese Stimmung und Mobbing, nur befristete Verträge und dabei aber höchste Ansprüche an Sprachkenntnisse, Aussehen und zeitliche Flexibilität. Viele Flughafenmitarbeiter*innen waren und sind laut Medienberichten nur bei Subunternehmern angestellt. Es ging also immer darum, möglichst viel Personalkosten einzusparen.

Als in der Corona-Pandemie der Flugverkehr stark eingeschränkt war, wurde natürlich sofort an Personal gespart, das ja häufig sowieso keine festen Verträge mit den Fluggesellschaften hatte. Die 9-Milliarden-Finanzspritze für die Lufthansa, die eigentlich auch zum Erhalt von Arbeitsplätzen gedacht war, wurde offenbar anderweitig ausgegeben. Die Angehörigen des Bodenpersonals haben sich notgedrungen andere Jobs gesucht, entdeckt, dass es anderswo besser ist, und wollen nun nicht mehr zurückkommen. Erstaunlich, dass sich darüber überhaupt jemand wundert.

Was hat das alles mit dem Pflegenotstand und dem allgemeinen Personalmangel im deutschen Gesundheitswesen zu tun? Seit Jahrzehnten sind deutsche Kliniken gezwungen, an allen Ecken und Enden zu sparen, auch im Personalbereich. Die mit der Einführung des DRG-Systems einhergehende Verkürzung der Liegezeiten führte zu einer Beschleunigung und Verdichtung der Arbeit bei gleichzeitig knapp bemessener Personaldecke. Die unerwartete zusätzliche Belastung durch die Corona-Pandemie führte zur massiven Überlastung des Klinikpersonals, die nicht angemessen vergütet wird. Viele Pflegekräfte der Kliniken können und wollen so nicht mehr arbeiten und hören auf. Auch hier wurde am Personal gespart, und das rächt sich jetzt.

Der Pflegekräftemangel in Pflegeeinrichtungen ist ebenfalls hausgemacht. Durch die Privatisierung vieler Einrichtungen bestehen wirtschaftliche Zwänge, die ebenfalls zu Einsparungen bei den Personalkosten führten. Alle Pflegeeinrichtungen, auch unter öffentlicher Trägerschaft, sind gesetzlich dazu verpflichtet, wirtschaftlich zu handeln, also zu sparen. Die Leistungen, für die die Pflegekassen aufkommen, dürfen „das Maß des Notwendigen nicht übersteigen“. Examinierte Altenpfleger*innen verdienen in Deutschland um die 3.000 Euro brutto, bei längerer Berufserfahrung etwas mehr. Wer möchte bei dieser Bezahlung unterbesetzt in Wechselschichten arbeiten und körperlich schwere und emotional anstrengende Arbeit verrichten? Hinzu kommt das geringe Ansehen und der geringe Respekt für diese Berufsgruppe. Die Corona-Pandemie hat die schon vorher angespannte Situation extrem verschärft. Auch hier werden dringend Mitarbeiter*innen gesucht.

Die Ursache all dieser Probleme ist fehlende Wertschätzung menschlicher Arbeitskraft. Kostendruck an das Personal weiterzugeben und zulasten der Mitarbeiter*innen Geld einzusparen, kann nur eine äußerst kurzsichtige Lösung sein. Viele Betroffene, die ebenfalls Lohndumping, oft über Subunternehmer, ausgesetzt sind, können sich nicht wehren. Hierüber habe ich im Thema der Woche 2020-W27 Geiz ist nicht geil über die Ausbeutung von Schwarzarbeiter*innen aus Osteuropa in Deutschland berichtet. Doch an den Flughäfen, in Kliniken und Pflegeeinrichtungen wehren sich die Betroffenen auf die offenbar einzig wirksame Weise gegen schlechte Arbeitsbedingungen und zu niedrige Bezahlung: Sie machen nicht mehr mit. Nur so kann anscheinend die öffentliche Aufmerksamkeit geweckt und eine Diskussion in Gang gebracht werden. Appelle an die Verantwortlichen und Forderung nach Verbesserung von Arbeitsbedingungen, höheren Tariflöhnen und generell mehr Respekt haben jahrelang zu nichts geführt.

Marlies Karsch, Chefredakteurin

 

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