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Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre Hausärzt*innen

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Apotheker*innen dürfen bereits gegen COVID-19 impfen. Ab Herbst sollen Grippeimpfungen bundesweit auch in Apotheken erfolgen. Außerdem können Apotheker*innen neuerdings auch erweiterte Medikationsberatungen bei Polymedikation durchführen. Hierzu sollen laut Pharmazeutischer Zeitung  infrage kommende Patient*innen identifiziert und gezielt angesprochen werden. Angesichts dieser Neuerungen sollten wir die Begriffe „Expertise“ und „Interessenkonflikt“ klar definieren und neu diskutieren.

Wir Ärzt*innen haben ein mindestens 6-jähriges Studium mit 3 medizinischen Staatsexamina hinter uns, ein praktisches Jahr absolviert und häufig auch noch promoviert. Um überhaupt direkt mit gesetzlichen Krankenkassen abrechnen zu dürfen, mussten wir eine 5- bis 6-jährige Facharztweiterbildung durchlaufen, eine Facharztprüfung ablegen und uns dann als Fachärzt*innen in einer Praxis mit Kassenzulassung niederlassen. Was bedeutet diese Expertise eigentlich? Was ist sie wert? Für unsere Patient*innen, die wir bestmöglich versorgen, sicherlich sehr viel. Aber für die Verantwortlichen in Politik, GKV-Spitzenverband und im Deutschen Apothekerverband offenbar weniger. Für das Erlernen der eigentlich ärztlichen Tätigkeit Impfen benötigen Apotheker*innen nur je 8 Theorie- und Praxisstunden, für die Beratung und medikamentöse Behandlung von Patient*innen mit Polymedikation offenbar eine „Fortbildung“.

Apotheker*innen dürfen nun eine erweiterte Medikationsberatung bei Polymedikation anbieten, die mit 90 Euro netto vergütet wird. Anspruch darauf haben Patient*innen, die mindestens 5 Medikamente einnehmen. Diese Beratungen dürfen einmal jährlich oder bei erheblichen Umstellungen der Medikation auch öfter erfolgen. Auch Hausbesuche sind möglich. Patient*innen sollen hierfür Medikamente, Medikationspläne, Selbstmedikation, Krankenhausentlassungsbriefe etc. vorlegen.

Im Rahmen der Beratung wird eine „pharmazeutische Prüfung der Arzneimitteltherapie-Sicherheit“ (AMTS) durchgeführt. Dabei sollen unter anderem Interaktionen, Doppelverordnungen und Nebenwirkungen identifiziert werden. Dabei „können Laborwerte und ärztliche Diagnosen, falls bekannt und für die Prüfung relevant, berücksichtigt werden. Dagegen beinhaltet die pharmazeutische AMTS-Prüfung keine Überprüfung der leitliniengerechten Therapie einzelner Indikationen (sic!).“ (PZ ). Daraufhin können die hierfür nicht ausgebildeten und offenbar nicht ausreichend informierten Apotheker*innen die Medikation „anpassen“. Rücksprache mit oder Information der behandelnden Ärzt*innen über die Änderungen sind nicht zwingend vorgeschrieben und erfolgen nur nach Entbindung von der Schweigepflicht.

Hausärzt*innen bekommen für ein mindestens 10-minütiges Gespräch mit gesetzlich Versicherten 14,42 Euro. Auch zuzüglich der Versicherten- und Chroniker-Pauschalen sind das immer noch weit unter 90 Euro. Das offenbar doch vorhandene Geld der GKV wird also lieber in eine zweifelhafte Parallelversorgung als in die hausärztliche Betreuung gesteckt. Durch die zusätzliche Beratung können die Adhärenz und das Vertrauen von Patient*innen in die versorgenden Ärzt*innen empfindlich gestört und die Versorgung erschwert werden. Eine Medikationsumstellung bei multimorbiden Patient*innen durch Apotheker*innen ohne ärztliche Expertise und ohne umfassende Kenntnis der Krankengeschichte kann lebensgefährlich sein. Als Beispiel seien nur erforderliche Dosisanpassungen bei Niereninsuffizienz genannt.

Außerdem bestehen hier eindeutige Interessenkonflikte. Das Dispensierrecht berechtigt zu Herstellung, Lagerung und Verkauf von Medikamenten. Dies ist in der Humanmedizin sinnvollerweise von der ärztlichen Patientenversorgung getrennt und liegt ausschließlich bei den Apotheken. Nun sollen aber Apotheker*innen ärztliche Aufgaben übernehmen, ausgerechnet bei Impfungen und Medikationsberatung, obwohl sie vom Verkauf von Impfstoffen und Medikamenten direkt profitieren.

Wohin eine solche Vermischung der Interessen führen kann, sehen wir in der Veterinärmedizin. Tierärzt*innen haben das Dispensierrecht und leben auch vom Verkauf von Medikamenten. Dies führt unter anderem zu einem hohen Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung, besonders von Reserveantibiotika aus der Humanmedizin, und damit zu weit verbreiteten Antibiotikaresistenzen. In Dänemark wurde das Dispensierrecht der Tierärzt*innen vor einigen Jahren abgeschafft, was mit einem deutlichen Rückgang der Antibiotika-Verordnungen in der Tiermast einherging. Wir sollten also bezüglich dieser Entwicklungen wachsam bleiben und gemeinsam darauf achten, dass weiterhin im Sinne der Patient*innen gehandelt wird.

Marlies Karsch, Chefredakteurin

 

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