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Angestellten Ärzt*innen wird ihr Beruf vergällt

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„Ein Drittel von Ihnen wird sowieso das Studium nicht beenden, weil Sie die Prüfungen nicht schaffen. Ein weiteres Drittel von Ihnen wird keine Stelle als Arzt finden, und nur ein Drittel wird überhaupt im ärztlichen Beruf arbeiten. Machen Sie sich bewusst: Es gibt zu viele von Ihnen, und der Bedarf an Ärzten ist gedeckt.“ Mit diesen Sätzen wurden meine Kommiliton*innen und ich am ersten Tag unseres Medizinstudiums an der LMU München im September 1992 bei der Einführungsveranstaltung begrüßt. Inzwischen ist viel Zeit vergangen.

Aber immer noch werden angestellte Ärzt*innen so behandelt, als gäbe es sowieso zu viele von Ihnen und als könnten sie leicht ersetzt werden. Das ergibt eine aktuelle Umfrage des Marburger Bundes (MB-Monitor ), an der über 8.000 angestellte Klinikärzt*innen teilgenommen haben. Dabei beantworteten 25 % der Teilnehmenden die Frage „Erwägen Sie, Ihre ärztliche Tätigkeit ganz aufzugeben?“ mit „ja“ und 18 % mit „weiß nicht“. Vermutlich gibt es hier Überschneidungen mit den 28 % Befragten, die ihre Arbeitsbedingungen als „schlecht“ oder „sehr schlecht“ beurteilen. Übrigens finden nur 32 % der Teilnehmenden ihre Arbeitsbedingungen „sehr gut“ (5 %) oder „gut“ (27 %), und 40 % bewerten ihre Arbeitsbedingungen als „mittelmäßig“.

Ein weiterer wichtiger Indikator für ärztliche Arbeitsbedingungen ist die personelle Besetzung der Ärzte. Diese wird von 46 % der Befragten als „eher schlecht“ und von 20 % als „schlecht“ bewertet. 34 % der befragten Ärzt*innen gaben sogar an, dass in ihrer Klinik/Einrichtung auch während der Pandemie ärztliche Stellen abgebaut wurden.

Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit inklusive Dienste, Überstunden und Arbeitszeit der Teilzeitarbeitenden liegt bei 50,2 Stunden. Ein Fünftel der Befragten arbeitet 60 Stunden und mehr in der Woche. Wünschen würden sich 50 % der befragten Ärzt*innen eine Wochenarbeitszeit von maximal 39 Stunden und 42 % eine Wochenarbeitszeit von 40 bis maximal 48 Stunden. Für eine Teilzeittätigkeit haben sich bereits 31 % der Teilnehmenden entschieden.

Wie ist das möglich? Wie kann es sein, dass zunächst für einen Medizinstudienplatz extrem hohe Hürden bestehen, dass im Studium ein großer Leistungsdruck aufgebaut wird, dass junge Ärzt*innen anspruchsvolle Facharztweiterbildungen absolvieren müssen und dass dann in Kliniken derartig schlechte Arbeitsbedingungen herrschen, dass 25 % der Ärzt*innen, die bis dahin alle Hürden gemeistert haben, daran denken, ihren Beruf ganz aufzugeben? Wie kann es sein, dass trotz des allseits beklagten Ärztemangels ein System weiterbestehen kann, das auf schlechter Personalbesetzung, Überstunden, Dokumentationszwängen und fehlender Wertschätzung für ärztliche Arbeit basiert?

Wer schuld ist an dem Desaster, lässt sich schwer sagen. Verschiedene politische Entscheidungen haben dazu geführt, einen hohen Kostendruck aufzubauen, der auf dem Rücken des Klinikpersonals ausgetragen wird: z. B. die Einführung der diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG) und die zunehmende Privatisierung von Kliniken. Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG ) fordert angesichts der frustrierenden Umfrageergebnisse Reformen für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für Klinikpersonal.

Manche von Ihnen fragen sich jetzt bestimmt, was dieses Problem mit der Tätigkeit in einer Hausarztpraxis zu tun hat. Aber vergessen Sie bitte nicht, dass Ärzt*innen in Weiterbildung im Fach Allgemeinmedizin eine mehr oder weniger lange Klinikzeit absolvieren müssen. Die Daten des MB-Monitors zeigen, dass 29 % der Ärzt*innen in Weiterbildung in einer Klinik bereits über einen Berufswechsel nachdenken. Ärzt*innen in Weiterbildung im Fach Allgemeinmedizin  sind in dieser Umfrage vermutlich in der Unterzahl, genaue Angaben fehlen. Aber die Umfrageergebnisse spiegeln die belastende Situation in den Kliniken wider, in denen auch ein Teil der Weiterbildung in unserem Fach stattfindet. Auch dies könnte ein weiterer Grund für den Hausärztemangel sein.

Marlies Karsch, Chefredakteurin

 

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