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Chaos Computer Club vs. Gematik: 1:0

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Als nicht sonderlich digital affiner Mensch bin ich schnell bereit, mich dem Urteil von Fachleuten zu beugen. Wenn bei Fragen zu Software und Hardware IT-Spezialist*innen sagen „geht nicht anders“ oder „muss so“, dann glaube ich das einfach mal. Wie die meisten Menschen bin ich dankbar, dass es Menschen gibt, die sich auskennen und es mir abnehmen, tiefer in ein schwer zu verstehendes Problem einzutauchen. Das gilt auch für offizielle Aussagen zu digitalen Sachverhalten, beispielsweise von Behörden oder staatlichen Firmen.

Immer wieder tritt hier der Chaos Computer Club  (CCC) als Korrektiv in der Öffentlichkeit auf und informiert beispielsweise darüber, was von offiziellen Aussagen zur Sicherheit von E-Rezepten zu halten ist. Ich bin den Leuten vom CCC zutiefst dankbar dafür, dass sie etwas erklären, was ich selbst niemals von allein durchschauen würde. Und weil sie die Spezialist*innen sind und offenbar keine kommerziellen Interessen haben, glaube ich ihnen eher als Quellen mit Interessenkonflikten.

Sehr aufschlussreich und gleichzeitig irritierend ist die inzwischen recht hitzige Diskussion zwischen der mehrheitlich bundeseigenden Gesellschaft Gematik  auf der einen und der IT-Fachzeitschrift c't  und dem CCC  auf der anderen Seite. Noch in diesem Jahr laufen bei Zehntausenden Konnektoren zum Anschluss an die Telematikinfrastruktur (TI) die Sicherheitszertifikate aus. Ein Softwareupdate zur Erneuerung dieser Zertifikate ist laut Gematik nicht vorgesehen. Stattdessen soll bekanntermaßen die Hardware, also die Konnektoren-Geräte selbst, ausgetauscht werden. Hierfür hat die KVB  eine Konnektortausch-Pauschale von einmalig 2.300 € festgelegt. Dieser Betrag soll den Arztpraxen beim Austausch eines Konnektors erstattet werden. Die Firma Compugroup Medical  (CGM), deren Konnektoren die Mehrzahl der in diesem Jahr auszutauschenden Geräte ausmachen, hat darauf den Preis für einen Konnektor auf genau 2.300 € festgelegt.

Die Zeitschrift c't und der CCC sind der Ansicht, dass ein Software-Update technisch möglich sei. Von der Gematik wird diese Option verneint. Der CCC stellt dagegen sogar ein kostenloses Update für Konnektoren  zur Verfügung und bezeichnet dies als „400-Millionen-Euro-Geschenk" an das Gesundheitssystem. Ein „minimalinvasiver" Konnektor-Patch wird vom CCC unter github.com  bereitgestellt. Zusätzlich bietet der CCC Praxen und Krankenhäusern Hilfe beim Einspielen der Patches an. Hierzu müsste die Gematik laut CCC nur die neuen Zertifikate und Patches signieren (also die Zugangsschlüssel liefern). Besonders kritisch sieht der CCC, dass die jetzt zum Austausch vorgesehenen Konnektoren wegen ebenfalls zeitlich begrenzter Zertifikate wieder nur eine Lebensdauer von 5 Jahren haben. Weitere hohe Kosten für alle Versicherten, sinnloser Aufwand und tonnenweise Elektroschrott würden in Kauf genommen.

Zur Anzahl der auszutauschenden Konnektoren gab es unterschiedliche Angaben. In zahlreichen Berichten war von insgesamt 130.000 Geräten die Rede, die bis spätestens 2025 ersetzt werden müssen. Deswegen spricht der CCC auch von 400 Mio Euro. Inzwischen ist die Gematik den kritischen Stimmen etwas entgegengekommen und will für Geräte, deren Zertifikat nach August 2023 abläuft, auch Alternativen zum Gerätetausch  anbieten. Hierfür sei aber ein neues Finanzierungsmodell erforderlich. So müssen nach derzeitigem Stand laut Gematik 53.000 Konnektoren auf jeden Fall ausgetauscht werden. Auch die KBV sieht derzeit einen Konnektorentausch als „alternativlos“ an. Praxen würden sonst den Anschluss an die TI verlieren.

Für die drei zertifizierten Herstellerfirmen für TI-Konnektoren ist das also ein fest einzuplanender Umsatz von mindestens 121 Mio Euro. Hinzu kommen noch zusätzliche Einnahmen für Updates und Schulungen. Diese Kosten bezahlt die Allgemeinheit. Dass in diesen Firmen niemand an einer schnelleren, nachhaltigeren und insbesondere billigeren Lösung interessiert ist, liegt auf der Hand. In Bayern nennen wir so etwas „a gmahde Wiesn“. Das heißt, es ist nicht mehr viel zu tun, außer die Gewinne einzustreichen. Der CCC hat gezeigt, was möglich wäre, wenn die Herstellerfirmen nur mitspielen würden. Vielleicht führt diese Diskussion zumindest zu einem Umdenken bei der Gematik.

Marlies Karsch, Chefredakteurin

 

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