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Ist Metamizol doch gefährlich?

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Wir haben kürzlich den Artikel Cholelithiasis überabeitet. Darin geben wir auch Empfehlungen zur Therapie der akuten Gallenkolik und empfehlen unter anderem neben Diclofenac auch Metamizol. Diclofenac ist wegen vieler Nebenwirkungen und Kontraindikationen auch nicht gerade ideal. Metamizol steht wegen des Agranulozytoserisikos in der Kritik und ist in vielen Ländern gar nicht zugelassen. Ich bin der Frage, ob Metamizol mit gutem Gewissen eingesetzt werden kann, noch einmal genauer nachgegangen.

Während meiner Tätigkeit in einem Akutversorgungszentrum in Norwegen vor einigen Jahren bekamen Patient*innen mit Nieren- oder Gallenkolik Diclofenac i. m., weil das der „Goldstandard“ bei Koliken sei. Metamizol kannte niemand. Die Betroffenen mit Kolik, die ich damals behandelte, wurden mit Diclofenac i. m. nie schmerzfrei und brauchten alle noch ein Opioid. Den Patient*innen, die ich bei der Patientenversorgung in Deutschland mit Metamizol und N-Butylscopolamin i. v. behandelt hatte, ging es dagegen meist rasch besser. So entstand also meine subjektive und nicht evidenzbasierte Wahrnehmung, dass Metamizol bei einer Nieren- oder Gallenkolik wirksamer ist als Diclofenac.

Abgesehen davon, dass mittlerweile allen klar ist, dass Diclofenac auch bei einer Gallenkolik nicht i. m. verabreicht werden sollte, stellt sich also die Frage, ob Metamizol eine sichere Alternative ist. Ich habe deswegen die atd-Arzneimitteldatenbank  und das aktuelle Bulletin zur Arzneimittelsicherheit  des BfArM zu Rate gezogen. Als erstes bin ich darüber gestolpert, dass Diclofenac ebenfalls eine Agranulozytose auslösen kann, ebenso wie übrigens auch andere NSAR. Als Häufigkeit gibt die atd-Arzneimitteldatenbank, ebenso wie bei Metamizol, „selten = < 0,1 %“ an. Eine PubMed-Recherche mit den Suchworten „diclofenac AND agranulocytosis“ ergibt nur 29 Treffer. Davon beziehen sich einige Artikel doch nur auf Metamizol. Manche Publikationen sind recht alt. Alle beinhalten nur Ergebnisse aus Beobachtungsstudien und ergeben widersprüchliche Aussagen zur Häufigkeit einer Agranulozytose unter Diclofenac im Vergleich zu Metamizol. Eine Suche mit den Suchworten „NSAID AND agranulozytosis“ erbringt in erster Linie Treffer zum Thema Metamizol und ansonsten auch keine großen Erkenntnisse. Deshalb muss ich das Agranulozytose-Risiko unter Diclofenac einfach so stehen lassen und kann Ihnen leider nicht mehr dazu mitteilen.

Fachinformationen für Metamizol geben ein Agranulozytose-Risiko von < 10.000 an. Eine Auswertung von Krankenkassendaten in Deutschland ergab dagegen ein deutlich höheres Risiko für Agranulozytose und Neutropenie von ca. 1:6.000. Nach aktuellen europäischen Daten tritt eine Agranulozytose im Median 13 Tage nach Beginn der Metamizol-Einnahme auf und endet in 16 % der Fälle tödlich.

Häufiger als eine Agranulozytose kann eine anaphylaktoide Reaktion mit Bronchospasmus und Angioödem auftreten. Sehr selten kann es zu Metamizol-bedingten Leberschäden kommen. Das Bulletin für Arzneimittelsicherheit empfiehlt bei Einnahme von Metamizol regelmäßige Blutbildkontrollen. Patient*innen sollen über Fieber und Halsschmerzen als mögliche Symptome einer Agranulozytose aufgeklärt werden. Besonders bei parenteraler Verabreichung besteht das Risiko für einen Blutdruckabfall. Deswegen soll Metamizol nur langsam und bei kreislaufstabilen Patient*innen parenteral verabreicht werden, wenn eine orale oder rektale Therapie nicht möglich ist.

Zum Schutz der Patient*innen und um im Schadensfall rechtliche Konsequenzen zu vermeiden, soll Metamizol nur im Rahmen der zugelassenen Indikationen eingesetzt werden. Diese umfassen starke Schmerzen nach Verletzung oder Operation, Koliken und Tumorschmerzen sowie andere starke akute und chronische Schmerzen, wenn andere therapeutische Maßnahmen kontraindiziert sind. Bei leichten und mittelstarken Schmerzen darf Metamizol nicht angewendet werden. Außerdem ist Metamizol zugelassen zur Behandlung von hohem Fieber, das nicht auf andere Medikamente anspricht.

Die Autor*innen des Bulletins zur Arzneimittelsicherheit des BfArM bescheinigen Metamizol ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis, auch wenn Agranulozytose und Leberschaden berücksichtigt werden. In der atd-Arzneimitteldatenbank ist die Liste der Neben- und Wechselwirkungen bei Metamizol jedenfalls deutlich kürzer als bei Diclofenac. Wir können Metamizol also mit relativ gutem Gewissen im Rahmen der Zulassung einsetzen, müssen aber, wie immer, Nutzen und Risiko sorgfältig abwägen.

Marlies Karsch (Chefredakteurin)

 

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