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Ein Schelm, wer Böses dabei denkt

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Beim täglichen Querlesen medizinischer Artikel und Publikationen bin ich über einen Bericht auf aerzteblatt.de  gestolpert. Darin steht, dass die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) vereinfachte Rahmenbedingungen für randomisierte kontrollierte Studien (RCT) fordert. Hierzu gibt es ein Positionspapier , das unter anderem von der European Society of Cardiology (ESC) herausgegeben wurde. Laut aerzteblatt.de stellt die forschende Pharmaindustrie die gleichen Forderungen. Mir stellt sich die Frage: Kann etwas gut sein, das sich diese Interessengruppen wünschen? Die ESC steht jedenfalls in dem Ruf, keine Berührungsängste mit der Pharmaindustrie zu haben und auch in ihren Leitlinien oftmals industriefreundliche Empfehlungen zu geben.

Aus reiner Neugier habe ich mir das Positionspapier der sogenannten Good Clinical Trials Collaborative (GCTC) genauer angesehen. Zu dieser Kollaboration gehören ESC, American Heart Association (AHA), American College of Cardiology und World Heart Federation. Die Autor*innen des Positionspapiers beklagen, dass durch derzeit gültige Regeln und Vorschriften unhaltbare Zustände in der Forschung herrschten, die langfristig zu großem Leid für Patient*innen führen würden. Sie betonen wiederholt, dass die bisher für die Durchführung klinischer Studien geltenden Good Clinical Practice Guidelines zu restriktiv seien und Forschende von ihrer Forschung abhalten würden.

Im Positionspapier werden als Beispiele für die missliche Lage ausgerechnet das kardiovaskuläre Risiko und PCSK9-Inhibitoren herangezogen und folgende Argumente vorgebracht: Das inzwischen geringe absolute Risiko für eine kardiovaskuläre Erkrankung und der typischerweise nur bescheidene relative Nutzen vieler Interventionen erforderten große Studienpopulationen und lange Beobachtungszeiten, weil sonst beispielsweise die Wirkung von PCSK9-Inhibitoren unterschätzt werde. Solche großen Studien seien aber derzeit viel zu teuer. Hm, ich verstehe schon, worauf die Autor*innen hinaus wollen.

Außerdem, so wird argumentiert, beinhalte das bisher übliche Vorgehen, Bevölkerungsdaten nur für Beobachtungsstudien zu nutzen, immer ein Bias-Risiko. Daher wird auch für RCT eine „angemessene“ Nutzung von Routinedaten und der Zugang zu elektronischen Patientenakten, wie beispielsweise in Skandinavien, gefordert. So könne unter anderem die Diversität von Studienteilnehmer*innen hinsichtlich Geschlecht, Alter, Ethnie und sozioökonomischer Unterschiede sichergestellt werden. Aber Datenschutzbestimmungen führten immer noch zu einer zu geringen Nutzung dieses Ansatzes.

Es stimmt schon: Wir alle können von großen skandinavischen Registerstudien mit einer riesengroßen Studienpopulation profitieren, wie z. B. dieser dänischen Studie  zur Myokarditis im Zusammenhang mit einer SARS-CoV-2-Impfung. Aber bei genauerem Hinsehen stelle ich fest, dass hier die Pharmaindustrie ihre Finger im Spiel hat: Der Erstautor bekommt eine Finanzierung der Lundbeck Foundation . Koautor*innen geben frühere Kooperationen mit Pharmafirmen, Geldannahmen oder „Unterstützung“ von Pharmafirmen an. Möchten wir wirklich, dass Wissenschaftler*innen, die mit der Industrie kooperieren, oder gleich die Firmen selbst, Zugriff auf Patientendaten bekommen? Wofür würden die Daten dann sonst noch verwertet werden?

Die Autor*innen des Positionspapier jedenfalls fordern „flexible Entwicklungsphasen, Studiendesigns und Interventionen“. Ich denke wirklich nicht immer gleich das Schlimmste, aber die Forderung nach „flexiblen“ Studiendesigns lässt nichts Gutes ahnen: Das klingt so, als ob eine Studie, die nicht das gewünschte Ergebnis liefert, noch im Verlauf flexibel angepasst werden kann oder die Studienfrage so flexibel gestellt werden darf, dass das erwünschte Ergebnis erzielt wird. Die Autor*innen geben übrigens an, keine Interessenkonflikte zu haben. Interessant. Bleibt nur, zu hoffen, dass es sich bei diesem Positionspapier nur um einen „netten Versuch“ handelt und die darin aufgestellten Forderungen niemals umgesetzt werden.

Marlies Karsch (Chefredakteurin)

 

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