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Neues in der DEGAM-Leitlinie Müdigkeit

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Anfang Januar ist die neue DEGAM-S3-Leitlinie Müdigkeit  erschienen. Wir haben sie in unseren Artikeln Müdigkeit und Abgeschlagenheit, Muskelschwäche und Chronisches Erschöpfungssyndrom (CFS) berücksichtigt. Die aktuelle Leitlinie enthält unter anderem neue Empfehlungen zum ME/CFS. Bei der Diagnostik bei Müdigkeit werden nun auch Symptome eines ME/CFS aufgeführt.

Der Artikel Müdigkeit und Abgeschlagenheit ist ein Deximed-Symptomartikel, bei dem der Schwerpunkt auf den Differenzialdiagnosen und der Differenzialdiagnostik liegt. In der Leitlinie werden die „üblichen Verdächtigen" bei einer Müdigkeitsabklärung auf die hinteren Plätze verwiesen: Die Hypothyreose als häufig angenommene Müdigkeitsursache geht nur selten mit Müdigkeit als einzigem Symptom einher und ist nur selten alleinige Ursache von Müdigkeit. Vitamin-D-Mangel korreliert nicht mit Müdigkeit. Auch bei Anämie und Eisenmangel ist ein eindeutiger Zusammenhang mit Müdigkeit nicht nachweisbar.

Relevante und wohlbekannte Ursachen von Müdigkeit sind laut Leitlinie: Stress, Bewegungsmangel und Übergewicht, Umwelteinflüsse sowie psychische Störungen, wie Angst, Depression oder Sucht. Chronische oder abgelaufene Infektionskrankheiten sind selbstverständlich wichtige Ursachen von Müdigkeit, z. B. Mononukleose. Müdigkeit und Abgeschlagenheit können frühe Symptome einer malignen Erkrankung sein. Allerdings wird eine Tumordiagnostik aufgrund von Müdigkeit als einzigem Symptom nicht empfohlen. Andere chronische Erkrankungen können auch zu Müdigkeit führen, z. B. Zöliakie. Schlafstörungen und Medikamentennebenwirkungen kommen ebenfalls als Ursachen in Betracht.

Auf den ersten Blick irritierend ist, welche Erkrankungen nach Ansicht der DEGAM-Leitlinien-Autor*innen im Kontext der Müdigkeitsabklärung in der Hausarztpraxis „extrem selten" sind. In dieser ansonsten sehr gut nachvollziehbaren Aufzählung werden unter anderem das Gilbert-Meulengracht-Syndrom und das prämenstruelle Syndrom (PMS) genannt. Das Gilbert-Meulengracht-Syndrom betrifft bis zu 13 % der Bevölkerung, ist zwar oft asymptomatisch, aber keinesfalls exotisch. Das Gleiche gilt auch für das PMS, das bei 20–40 % aller menstruierenden Frauen und Mädchen vorkommt und damit wirklich sehr häufig ist. Eine Erklärung dafür, warum diese beiden häufigen Probleme als „extrem selten" eingestuft wurden, könnte vielleicht sein, dass bei einem Gilbert-Meulengracht-Syndrom die Müdigkeit in der Regel äußere Auslöser hat (z. B. Stress) und ein Arztbesuch nicht notwendig erscheint und dass sich Betroffene mit einem PMS sich bevorzugt an ihre Gynäkolog*innen wenden.

Für die Labordiagnostik in der Hausarztpraxis empfiehlt die Leitlinie weiterhin lediglich Blut-Glukose, Blutsenkung CRP, Transaminasen oder Gamma-GT sowie TSH. Neu ist die Präzisierung, dass ein „großes Blutbild", statt nur ein „Blutbild" bestimmt werden soll. Bei Frauen im gebärfähigen Alter kann ergänzend eine Ferritin-Bestimmung erfolgen. Nur bei anamnestischen oder klinischen Hinweisen auf eine Nierenerkrankung sollen Nierenfunktionsparameter untersucht werden. Weitere Untersuchungen sollen nur bei auffälligen Befunden in der Basisdiagnostik oder pathologischen Vorbefunden erfolgen.

Vor vorschnellen Etikettierungen durch Festlegen auf unzureichend belegte Zusammenhänge wird in der Leitlinie gewarnt. Dazu gehört beispielsweise die Begründung der Müdigkeit durch einen Eisen-Mangel ohne weitere Abklärung auch psychosozialer Aspekte. Die kann zu Scheinassoziationen und selbsterfüllenden Prophezeiungen führen. Die Leitlinie nennt ein eindrückliches Beispiel: Bestimmung eines erniedrigten Vitamin-D-Spiegels bei einer müden Patientin und Placeboeffekt einer Vitamin-D-Substitution.

Die Leitlinie enthält neue Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie des ME/CFS: Bei mindestens 3 Monaten anhaltender, bisher ungeklärter Müdigkeit sollten diagnostische Kriterien für ein ME/CFS eruiert werden. Beim ME/CFS rät die DEGAM von körperlichen Aktivierungen auf Basis des Konditionierungskonzepts ab. Verhaltenstherapie kann angeboten werden. Hierzu gab es ein Sondervotum einiger an der Leitlinie beteiligter Fachgesellschaften, die sich den Therapieempfehlungen nicht anschlossen. Details hierzu finden Sie im Artikel Chronisches Erschöpfungssyndrom (ME/CFS).

Mit unseren neu überarbeiteten Artikeln unter Berücksichtigung der DEGAM-Leitlinie Müdigkeit möchten wir Ihnen einen hilfreichen Leitfaden bei der Abklärung und Behandlung dieses häufigen und unspezifischen Symptoms geben.

Marlies Karsch (Chefredakteurin)

 

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