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Reform der Notfallversorgung: 24/7-Service geplant

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Letzte Woche gingen die Pläne der Bundesregierung zur Reform der Notfallversorgung  durch die Presse und sorgten mit Recht für einige Aufregung bei niedergelassenen Kolleg*innen, der KBV und dem Hausärzteverband. Viele der geplanten organisatorischen Maßnahmen wirken wenig durchdacht und gehen von einer unbegrenzten Verfügbarkeit der Arbeitskraft von Hausärzt*innen aus. Die Ideen in den Reformplänen wirken teilweise völlig unrealistisch.

Hintergrund der Reform ist die angesichts der zunehmenden Zahl an Notfallpatient*innen durchaus sinnvolle Absicht, die Notaufnahmen zu entlasten und Patientenströme sinnvoll zu steuern. So soll die Versorgung von Notfallpatient*innen verbessert werden. Ich habe auch schon erlebt, dass eine Patientin mit chronischen Rückenschmerzen abends in die Notaufnahme kam und mir erklärte: „Für mich ist die Notaufnahme bequemer. Sie haben abends geöffnet und Sie kümmern sich gleich um mich. Bei meinem Hausarzt muss ich im Wartezimmer warten.“

Geplant ist also die Einrichtung neuer integrierter Leitstellen (ILS) und integrierter Notfallzentren (INZ). Die neuen ILS sollen über beide Notrufnummern 112 und 116 117 erreichbar sein. Dort soll eine erste Einschätzung mithilfe von „standardisierten, wissenschaftlich validierten, softwaregestützten und qualitätsgesicherten Ersteinschätzungsinstrumenten“ erfolgen. Mir ist nicht ganz klar, was das sein soll. Diese Einschätzung soll jedenfalls durch „medizinisch qualifizierte Fachkräfte“ erfolgen. Die Anrufer*innen sollen der besten geeigneten Notfallstruktur verwiesen werden. Beispielsweise „muss“ innerhalb von 10 min eine „rund um die Uhr (24/7) erreichbare allgemeinärztliche und kinderärztliche telemedizinische Beratung bzw. Videosprechstunde“ zur Verfügung gestellt werden. Welche Ärzt*innen neben ihren Praxen auch noch diesen Dienst abdecken sollen, bleibt unklar.

Die neuen INZ sollen aus einer Kliniknotaufnahme und einer KV-Notdienstpraxis bestehen, die in enger räumlicher Nähe liegen und gemeinsame Infrastruktur nutzen, z. B. das Labor. Diese INZ sollen an allen Kliniken der erweiterten Notfallversorgung (Stufe 2) und der umfassenden Notfallversorgung (Stufe 3) eingerichtet werden. Wenn „regional erforderlich“, soll es auch INZ an Häusern der Basisnotfallversorgung (Stufe 1) geben. KV-Notdienstpraxen sollen in Häusern der Stufe 2 von Montag bis Freitag von 14:00 h bis 22:00 h und an Wochenenden und Feiertagen von 09:00 h bis 21:00 h geöffnet sein. An Häusern der Stufe 3 sollen KV-Notfallpraxen „24/7“ geöffnet sein. Die KV-Notdienstpraxen der INZ sollen von der KV finanziert sein. Sollten Notaufnahme oder Notfallpraxis nicht ausreichend besetzt sein, sind Sanktionen in Form von Ausgleichszahlungen geplant.

Hier betreten wir also endgültig das Reich der Fantasie. Ich möchte ausrufen: „Das haben Sie sich ja fein ausgedacht!“ Wann sollen Hausärzt*innen, die den telemedizinischen Dienst der Leitstellen und die KV-Bereitschaftspraxen besetzen, denn in ihrer Praxis arbeiten und Patient*innen versorgen? Sollen Betroffene, deren Hausärzt*innen gerade anderweitig eingesetzt werden, dann auch die 112 oder die 116 117 anrufen? Ich kann die allgemeine Empörung sehr gut verstehen.

Trotzdem beinhalten die Reformpläne eine im Prinzip gute Idee: Die Bündelung der Anrufe an Rettungsdienst und KV in einer Leitstelle, die dann die Patient*innen an die geeigneten Versorgungsstellen verweist. Ich habe vor knapp 20 Jahren in Norwegen unter anderem in einer solchen gemeinsamen Leitstelle gearbeitet und fand diese Einrichtung sehr sinnvoll. Es gab damals noch eine reine Rettungsleitstelle nur für Rettungseinsätze, mit der wir sehr eng zusammengearbeitet haben. In der allgemeinen Leitstelle wurden Ärzt*innen und erfahrene Krankenpfleger*innen eingesetzt. Nach einem kurzen Anamnesegespräch wurde auf der Basis fachlicher Expertise (ohne „softwaregestützte Ersteinschätzungsinstrumente“) entschieden, ob die Patient*innen am nächsten Tag in ihre Hausarztpraxis oder sofort in die Notfallpraxis gehen sollen, ob sie einen Hausbesuch bekommen oder ob wir über die Rettungsleitstelle einen Krankenwagen zur Akutversorgung schicken, der dann die Patient*innen in die richtige Notaufnahme bringt. Die Grundidee einer ILS, auch mit telemedizinischen Möglichkeiten, kann also durchaus sinnvoll sein. Aber ihre Planung sollte konkret, realistisch und umsetzbar sein, was eben ein „24/7-Fachärzt*innen-per-Video-Service“ nicht ist.

Marlies Karsch (Chefredakteurin)

 

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