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Wie wäre es mit feministischer Medizin?

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Unsere Bundesaußenministerin Annalena Baerbock fordert eine feministische Außenpolitik; ein Ansatz, der immer wieder belächelt oder missverstanden wird. Ich als Feministin verstehe, was damit gemeint ist: Eine Außenpolitik für alle, also eine Außenpolitik, die nicht mehr von einem männlichen Blickwinkel dominiert wird. Wie wäre es, wenn wir auch in der Medizin endlich in der Realität ankommen? Schließlich lag der Frauenanteil der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen laut KVB-Daten  schon 2021 bei 49,9 %. Und zwei Drittel aller Medizinstudierenden sind weiblich.

Bisher sind Führungspositionen in der Medizin bekanntermaßen keineswegs paritätisch besetzt. Laut dem Deutschen Ärztinnenbund  sind nur 37 % aller Oberärzt*innen an medizinischen Fakultäten in Deutschland Frauen. Leitende Führungskräfte an Fakultäten sind zu 19 % weiblich. In der Allgemeinmedizin sieht es etwas besser aus. Aber ein Frauenanteil von 32 % bei den Direktor*innen allgemeinmedizinischer Institute ist alles andere als zufriedenstellend. Bei den Dekan*innen liegt der Frauenanteil bei 13 %. Das bedeutet, dass nach wie vor überwiegend Männer entscheiden, was an deutschen Uni-Kliniken geforscht und gelehrt wird und auf welcher Evidenz ärztliche Arbeit basieren soll.

Wenn wir den hausärztlichen Bereich betrachten, wird klar, warum eine feministische Perspektive auf die Hausarztpraxis so dringend nötig ist: Frauen sind die Zukunft der Hausarztmedizin. Laut KVB-Daten  von 2021 sind 36,1 % der Hausärzt*innen über 60 Jahre alt. Der Frauenanteil liegt insgesamt bei 48,8 %. Ich habe mir die Zahlen zusammengesucht und ausgerechnet, was eigentlich sowieso klar ist, nämlich dass der Frauenanteil bei den älteren Hausärzt*innen deutlich geringer ist als bei den jüngeren. Der hausärztliche Nachwuchs ist weiblich. Deshalb ist es dringend erforderlich, dass weibliche Sichtweisen, Positionen und Bedürfnisse in Berufspolitik, Wissenschaft und in der DEGAM endlich einen wirklich gleichwertigen Platz einnehmen.

Hierzu gehört beispielsweise, dass Weiterbildungsstellen in Kliniken frauen- und familienfreundlicher gestaltet werden. Auch eine Teilzeittätigkeit als angestellte Fachärztin sollte nicht gleich zu einem Aufschrei unter männlichen Kollegen führen, weil so angeblich die vielbeschworene Kontinuität in der Patientenversorgung auf der Strecke bleibt. Eigene Patient*innen während der eigenen Arbeitszeit einzubestellen, war hier schon immer die einfache Lösung. Generell müssen wir weg vom männlichen „das haben wir immer schon so gemacht“ zu neuen kreativen Ideen und flexiblen Lösungsansätzen, wie z. B. Jobsharing auf einem Kassensitz oder einem Lehrstuhl.

Wie soll eine anteilige Repräsentation der vielen Ärztinnen und Psychotherapeutinnen über sämtliche Hierarchiestufen von Fakultäten, Kliniken, Berufsverbänden und Selbstverwaltungsgremien gelingen? Und das auch noch schnell? Denn wir haben wirklich keine Zeit, zu warten, bis junge Kolleg*innen nach einer frustrierenden ärztlichen Tätigkeit voller Kompromisse selbst das Rentenalter erreicht haben.

Der Deutsche Ärztinnenbund  und Pro Quote Medizin  fordern seit Jahren eine Frauenquote von bis zu 50 % für „Führungspositionen in Universitätskliniken und Krankenhäusern und in allen Gremien der Universitäten und der ärztlichen Selbstverwaltung“. Bisher sind sie mit der Forderung nicht sonderlich erfolgreich. Ich weiß auch nicht, ob und wie im medizinischen Bereich eine Quote durchgesetzt werden kann. Es ist jedenfalls Zeit für einen Wandel, denn der Ärztemangel in Kliniken, der drohende Hausarztmangel und die fast völlige Vernachlässigung gendermedizinischer Aspekte sind unter männlicher Führung entstanden. Jetzt sollte die weibliche Hälfte der Ärzteschaft ihre Chance bekommen, es anders zu machen.

Marlies Karsch (Chefredakteurin)

 

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