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Was wissen wir über das Post-COVID-Syndrom?

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Über 2 Jahre nach Beginn der COVID-19-Pandemie ist noch immer relativ wenig über LONG-COVID bekannt. Schon allein bei der Definition gibt es unterschiedliche Ansichten. Aber die WHO und die AWMF-S1-Leitlinie  sprechen bei Symptomen ohne andere ätiologische Erklärung, die länger als 12 Wochen nach der akuten Infektion bestehen und mindestens 2 Monate andauern, von einem Post-COVID-Syndrom (PCS). Von Long-COVID ist laut NICE  und der Leitlinie bei Symptomen für 4 bis 12 Wochen nach der COVID-19-Infektion die Rede.

Die S1-Leitlinie ist von August 2022 und bis August dieses Jahres gültig. Eine kürzlich im Deutschen Ärzteblatt (DÄB) publizierte systematische Übersichtsarbeit  basiert auf Daten einer Literaturrecherche bis Juli 2022. Beide Quellen diskutieren folgende, vermutlich übergreifende, Ursachen von PCS: eine endotheliale Dysfunktion, Viruspersistenz, Autoimmunität, persistierende Inflammation und psychosoziale Faktoren. Bisher gibt es weder eine wirksame Therapie des PCS oder diagnostische Marker, die an einem der diskutierten ursächlichen Mechanismen ansetzen.

Auch die Prävalenz ist unklar und wird von verschiedenen Quellen je nach Krankheitsdefinition stark unterschiedlich angegeben. Die Autor*innen der Übersichtsarbeit im DÄB schreiben, dass in den bisherigen Studien ohne Kontrollgruppen das Risiko besteht, dass die Prävalenz überschätzt wird. Insgesamt berichteten in britischen Längsschnittstudien 1,2–4,8 % der Personen mit COVID-19 nach mehr als 12 Wochen über beeinträchtigende Symptome. Bekannt ist jedenfalls, dass Impfungen gegen COVID-19, besonders Zwei- oder Dreifach-Impfungen das PCS-Risiko deutlich senken. Außerdem ist das Risiko für PCS nach einer Infektion mit der Omikron-Variante geringer als bei anderen Virusvarianten.

Abgesehen vom Impfstatus nennt die Bundesärztekammer  noch weitere Risikofaktoren PCS: kaukasische Abstammung, mittleres Lebensalter, weibliches Geschlecht, Asthma bronchiale, eingeschränkte psychische Gesundheit, Diabetes mellitus, Bluthochdruck und Fettleibigkeit. Als COVID-19-spezifische Risikofaktoren sind multiple Symptome bei der akuten Erkrankung, eine hohe akute Viruslast, niedrige IgG-Antikörpertiter zu Beginn sowie Durchfall im Rahmen der akuten Erkrankung.

Als sehr häufige Symptome von PCS werden in der Leitlinie unter anderem Fatique, Konzentrationsschwierigkeiten, Atemnot sowie Einschränkungen der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beschrieben. Das bestätigen auch die in den letzten Monaten gehäuften inhaltlichen Nachfragen an unsere Redaktion zu den Themen Fatique, Post-Exertional-Malaise (PEM), Belastungsintoleranz, Posturales Tachykardie-Syndrom und Mastzellenaktivierungssyndrom. Wir haben auf das gesteigerte Informationsbedürfnis unserer Leser*innen reagiert und unsere Artikel ME/CFS und Posturales Tachykardie-Syndrom auch unter Berücksichtigung von PCS umfassend überarbeitet. Im aktuell neu umgeschriebenen Artikel Mastozytose haben wir einen Abschnitt zum Mastzellaktivierungssyndrom ergänzt.

Für die hausärztliche Diagnostik bei Fatigue nach einer COVID-Infektion empfiehlt die S1-Leitlinie, zu erfassen, ob körperliche Aktivität die Fatique bessert oder im Sinne einer PEM zu einer Verschlechterung der Beschwerden führt. Wenn bei Patient*innen unter 60 Jahren eine schwere Fatigue mit Belastungsintoleranz, kognitive Störungen und Schmerzen für mehr als 6 Monate bestehen, soll das Vorliegen eines ME/CFS abgeklärt werden. Detaillierte Empfehlungen zur Diagnostik eines ME/CFS bietet die aktuelle DEGAM-Leitlinie Müdigkeit , die in unserem Artikel ME/CFS umfassend dargestellt ist.

Es fehlen also weiterhin eine spezifische Therapie, eine strukturierte Erfassung und interdisziplinäre Versorgung Betroffener sowie geeignete handlungsleitende Evidenz. Die Autor*innen der Übersichtsarbeit im DÄB fordern eine klinische Versorgung in spezialisierten PCS-Zentren an Einrichtungen der Maximalversorgung, also an Unikliniken. Ob so Betroffenen wirklich pragmatisch und niedrigschwellig geholfen werden kann, weiß aber bisher niemand.

Marlies Karsch (Chefredakteurin)

 

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