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Ärztliche Einschätzung in Rechtsfragen

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Ab und zu kommt es vor, dass Hausärzt*innen gebeten werden, eine ärztliche Bescheinigung darüber auszustellen, ob eine Patientin oder ein Patient aus gesundheitlichen Gründen bei einem Gerichtstermin erscheinen oder eine Haftstrafe antreten kann. Solche Anfragen führen zur Verunsicherung: Was wird in solchen Fällen eigentlich von den Ärzt*innen erwartet? Ist das überhaupt Aufgabe von Hausärzt*innen? Welche Fallstricke sind zu beachten?

Um Ihnen für solche Fälle das nötige Rüstzeug zur Verfügung stellen zu können, haben wir einen neuen Artikel zu diesem Thema erstellt: Untersuchung der Gewahrsamstauglichkeit (Haftuntersuchung). Im Abschnitt Vollzugstauglichkeit dieses Artikels wird auf Basis der Strafprozessordnung erklärt, unter welchen Umständen und bei welchen Erkrankungen ein Haftaufschub oder eine Haftunterbrechung notwendig sein kann. Bei „Geisteskrankheit“ oder einer „nahen Lebensgefahr“ besteht Vollzugsuntauglichkeit. Das gilt beispielsweise, wenn die Notwendigkeit für eine sofortige adäquate medizinische Intervention auch nachts besteht, etwa bei einer schweren kardiovaskulären Erkrankung. Eine von Ihnen in einem solchen Fall ausgestellte ärztliche Bescheinigung hat beratenden Charakter für die entscheidenden Instanzen im Verfahren, meist ist dies die Staatsanwaltschaft.

In unserem neuen Artikel wird außerdem auf die im hausärztlichen Alltag eher seltene, aber dann doch sehr herausfordernde Anfrage auf Beurteilung der Gewahrsamstauglichkeit einer Person eingegangen. Eine solche Einschätzung kann die Polizei z. B. bei einem alkoholisierten randalierenden jungen Mann anfordern. Normalerweise wird die Gewahrsamstauglichkeit von Amts- oder Polizeiärzt*innen durchgeführt. Die Polizei kann sich dafür aber auch an Notaufnahmen oder Ärzt*innen im ambulanten Bereich wenden. In dieser Situation muss oft eine unbekannte Person in möglicherweise beengten Räumlichkeiten mit unzureichender Ausstattung ärztlich eingeschätzt werden. Bei der Beurteilung sollte bedacht werden, dass medizinische Versorgung und Überwachung im Polizeigewahrsam nur sehr eingeschränkt möglich sind. Gründe für eine Gewahrsamsuntauglichkeit können z. B. eine schwere akute Intoxikation oder Hinweis auf eine Kopfverletzung sein.

Eine weitere Fragestellung mit klar juristischen Konsequenzen ist die Beurteilung der Fahreignung, die in unserem entsprechenden Artikel ausführlich dargestellt wird. Ärzt*innen sind verpflichtet, Patient*innen über eine bestehende Fahruntauglichkeit aufzuklären, z. B. bei Sehverlust, implantiertem ICD oder Epilepsie. Diese Aufklärung sollte gut dokumentiert werden. Von ärztlicher Seite besteht keine Meldepflicht. Ärzt*innen „dürfen“ uneinsichtige autofahrende Betroffene gegen die ärztliche Schweigepflicht an die Verkehrsüberwachungsbehörden melden, wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht.

In unseren Artikeln Verhaltensauffälligkeiten und psychische Symptome der Demenz und Akute Eigen- und Fremdgefährdung finden Sie umfassende Informationen zu den Themen Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik oder einer beschützenden Einrichtung, zwangsweise Verabreichung von Medikamenten und Fixierung. Eine Anwendung solcher Maßnahmen wird durch strenge gesetzliche Vorgaben reguliert. Nur wenn ein rechtfertigender Notstand vorliegt, also Gefahr von sich und anderen abzuwenden ist, sind eine Fixierung oder eine zwangsweise Verabreichung von Medikamenten im Notfall nicht rechtswidrig.

Auch Opfer von Straftaten können sich hilfesuchend an ihre Hausarztpraxis wenden. Sie sind dann nicht nur auf ärztliche Hilfe, sondern auch darauf angewiesen, dass ihre Befunde juristisch verwertbar dokumentiert werden. Empfehlungen zum Vorgehen finden Sie beispielsweise in unseren Artikeln Sexualisierte Gewalt, K.-o.-Tropfen und Gewalt gegen Frauen und Mädchen.

Alle in Deximed bereitgestellten Informationen zu juristisch relevanten ärztlichen Einschätzungen, Maßnahmen, Dokumentationen und Therapien können Ihnen die Eigenverantwortung nicht abnehmen. Grundsätzlich sollten bei Unsicherheit Spezialist*innen, z. B. für Rechtsmedizin, hinzugezogen oder Patient*innen an Gutachter*innen verwiesen werden sowie etwaige Bescheinigungen zurückhaltend und nur für einen begrenzten Zeitraum ausgestellt werden.

Marlies Karsch (Chefredakteurin)

 

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