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Was bedeutet die neue Leitlinie zum Schwangerschaftsabbruch für die Hausarztpraxis?

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Letzte Woche gab das Statistische Bundesamt  bekannt, dass die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr um 9,9 % zugenommen hat und damit auf knapp 104.000 angestiegen ist. Wir haben die erste deutsche Leitlinie zum Schwangerschaftsabbruch im ersten Trimenon  in unserem Artikel Schwangerschaftsabbruch berücksichtigt.

Die Daten zu Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland passen in manchen Punkten nicht gut zusammen: Einerseits nimmt die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche wieder zu, andererseits bieten immer weniger Kliniken und Praxen Schwangerschaftsabbrüche an. Es gibt noch keine Studiendaten zu den Versorgungstrukturen, aber laut der Leitlinie sank die Anzahl der Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten, von 2003 bis 2021 um 46 % auf 1.110. In Deutschland liegt die Rate der operativen Schwangerschaftsabbrüche mit 63 % im internationalen Vergleich relativ hoch. In Schweden beispielsweise werden dagegen 96% der Schwangerschaftsabbrüche medikamentös durchgeführt.

Gründe für die steigende Zahl an Schwangerschaftsabbrüchen lassen sich zwar nicht aus der Statistik ablesen, aber doch vermuten: Weiterhin ist das Armutsrisiko für alleinerziehende Frauen in Deutschland sehr hoch. Die Inflation macht das nicht besser. Hinzu kommen Zukunftsängste: Viele möchten in einer Welt, die mit Höchstgeschwindigkeit in eine Klimakatastrophe rast und die von globalen kriegerischen Auseinandersetzungen bedroht ist, keine Kinder bekommen. Keine ungewollt schwangere Frau entscheidet sich leichtfertig für einen Schwangerschaftsabbruch, anders als viele Abtreibungsgegner*innen glauben, die gegen einen niederschwelligen Zugang zu Informationen und medizinischen Einrichtungen protestieren.

In der neuen Leitlinie werden Empfehlungen zum medikamentösen Schwangerschaftsabbruch gegeben, die eine Durchführung bis zur SSW 9+0 ausdrücklich auch in allgemeinmedizinischen Praxen möglich machen. So reicht bei regelmäßigem Zyklus zur Feststellung einer Schwangerschaft eine ß-hCG-Bestimmung im Urin aus. Das Gestationsalter kann bei regelmäßigem Zyklus anhand des ersten Tages der letzten Periodenblutung ohne Sonografie errechnet werden. Ist der Zyklus unregelmäßig, der erste Tag der letzten Regel nicht sicher bekannt oder besteht der Verdacht auf eine Extrauteringravidität, ist allerdings eine Sonografie indiziert. Beim medikamentösen Abbruch wird Mifepriston zunächst unter ärztlicher Aufsicht verabreicht. Das Prostaglandin (Misoprostol) kann dann auf Wunsch 24–48 Stunden später auch zuhause angewendet werden. Die Patientinnen sollen eine schriftliche Befund- und Behandlungsdokumentation sowie eine Notfalltelefonnummer erhalten. Nach einem medikamentösen Abbruch kann die Beendigung der Schwangerschaft 2 Wochen nach Blutungsbeginn durch die Patientin selbst mit einem Urin-Tests auf ß-hCG kontrolliert werden.

Mit diesen Leitlinien-Empfehlungen soll offenbar der Weg für einen niederschwelligen Zugang zu medikamentösen Schwangerschaftsabbrüchen geebnet und Versorgungslücken entgegengewirkt werden. Laut dem Bundesgesundheitsministerium sind „zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs grundsätzlich Ärztinnen und Ärzte berechtigt, die die vorgesehenen Leistungen aufgrund ihrer Kenntnisse und Erfahrungen erbringen können, nach dem ärztlichen Berufsrecht dazu befugt sind und über die erforderlichen Einrichtungen verfügen.“ In Bayern und Niedersachsen dürfen nur Fachärzt*innen für Gynäkologie und Geburtshilfe Abbrüche vornehmen.

Wie die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen von Hausärzt*innen erworben werden können und wie die Befugnis nach dem ärztlichen Berufsrecht konkret erreicht werden kann, ist offenbar noch nicht geklärt. Denkbar wären vorgeschriebene Fortbildungen oder eine Zusatz-Weiterbildung. Spezielle räumliche und apparative Voraussetzungen sind jedenfalls laut Leitlinie zur Durchführung eines medikamentösen Schwangerschaftsabbruchs nicht erforderlich. Aber eine enge Kooperation mit einer gynäkologischen Praxis oder Klinik ist für den Fall von Komplikationen sicherlich unverzichtbar. Ob und wie viele Hausärzt*innen Schwangerschaftsabbrüche in ihrer Praxis anbieten wollen, ist nicht klar. Diese zusätzliche Belastung werden nur diejenigen auf sich nehmen, die aus Überzeugung ungewollt schwangeren Frauen helfen möchten. Vermutlich wird es auch viele Kolleg*innen geben, die die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen auch weiterhin lieber den Gynäkolog*innen überlassen.

Marlies Karsch (Chefredakteurin)

 

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