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Dick = krank?

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Die DEGAM kritisiert in ihrem Positionspapier zur Prävention und Therapie von Adipositas  die IQWIG-Empfehlungen  für ein Disease- Management-Programm (DMP) Adipositas. DMP haben das Ziel, die Versorgung chronisch kranker Menschen zu verbessern. Hierbei soll die Behandlung strukturiert geplant und der Verlauf dokumentiert werden. Voraussetzung ist, dass es eine nach dem Stand der Wissenschaft anerkannte Therapie gibt, die strukturiert plan- und durchführbar ist (siehe G-BA ). Außerdem sollte es eine klare Krankheitsdefinition geben, die festlegt, welche Personen in ein DMP eingeschrieben werden können. Dies ist bei der Adipositas leider alles nicht so ganz eindeutig.

Die Definition von Normal- und Übergewicht sowie Adipositas unterschiedlicher Schweregrade auf der Basis des Body Mass Index (BMI) hat ihre Schwächen. Beispielsweise können höhere BMI-Werte auch auf einer großen Muskelmasse beruhen. Bei einer Abnahme der Muskelmasse mit gleichzeitiger Zunahme des Körperfetts wird der Körperfettanteil durch den BMI unterschätzt. Laut DEGAM-Positionspapier ist eine Abgrenzung von gesundem und ungesundem Körpergewicht oft schwierig. In industrialisierten Ländern steigt seit Jahren der mit der niedrigsten Sterblichkeit assoziierte BMI an. Die Einschätzung des individuellen Risikos bei Übergewicht und Adipositas kann nur unter Berücksichtigung von Alter, Komorbidität und Sozialstatus erfolgen. Die Frage, ob und ab wann Übergewicht eine Krankheit ist, wird auch in unserem Artikel Übergewicht diskutiert.

Laut DEGAM-Positionspapier ist die Evidenzbasis für die Versorgung adipöser Menschen im hausärztlichen Bereich gering. Eine Verringerung von Morbidität und Mortalität durch unterschiedliche Interventionen kann nicht belegt werden. Auch für die Nachhaltigkeit von Abnehm-Programmen fehlen wissenschaftliche Belege. In unserem Artikel Übergewicht/Adipositas ist dieses therapeutische Dilemma ausführlich dargestellt.

Im DEGAM-Positionspapier wird Adipositas als Symptom und Risikofaktor für grundlegende Erkrankungen definiert und nicht als eigenständige Krankheitsentität. Verschiedene Faktoren tragen zur Entstehung von Übergewicht und Adipositas bei: genetische Prädispositionen, Bewegungsmangel, Ernährungsverhalten und besonders auch die soziale und psychische Situation der Betroffenen. Deshalb erscheint die Fokussierung von Therapiemaßnahmen auf einzelne Ursachen als nicht sinnvoll. Laut DEGAM liegt die Behandlung von Adipositas in der Verantwortung der Hausärzt*innen. Sie soll nach individuellem Bedarf und nach partizipativer Entscheidungsfindung erfolgen und nicht auf schematisch festgelegte Grenzwerte fokussiert sein. Im Positionspapier wird besonders auf soziale Ungleichheit als Ursache von Adipositas hingewiesen.

Unser Artikel Übergewicht/Adipositas enthält auch detaillierte Informationen über die oft frustrierenden Erfolgsaussichten für eine dauerhafte Gewichtsreduktion. Über die Hälfte der Patient*innen erreicht nach Gewichtsabnahme innerhalb von 3–5 Jahren wieder ihr Ausgangsgewicht. Für die Erfolgsrate von bariatrischen Operationen fehlen Langzeitdaten. Begünstigend für einen Langzeiterfolg bei der Gewichtsreduktion wirken folgende Faktoren: fettreduzierte Kost, regelmäßige körperliche Aktivität, regelmäßige Wiegen, guter Arzt-Patienten-Kontakt, Einbindung in eine Selbsthilfegruppe und Unterstützung durch das soziale Umfeld.

Fazit ist: Der gesellschaftliche Druck für eine Gewichtsabnahme ist generell hoch. Personen mit Übergewicht oder Adipositas entsprechen nicht dem gängigen Schönheitsideal, haben schlechtere Chancen bei der Berufswahl, werden im Sozialleben benachteiligt und wegen ihres Äußeren stigmatisiert. Deshalb sollte klargestellt werden, dass ein höheres Körpergewicht nicht immer krankhaft und somit auch nicht immer behandlungsbedürftig ist.

Marlies Karsch (Chefredakteurin)

 

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