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Interview mit Dr. Klaas Beckmann über seine ärztliche Tätigkeit in Bangladesch

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Marlies Karsch: Herr Dr. Beckmann können Sie sich bitte kurz vorstellen?

Dr. Klass Beckmann: Mein Name ist Klaas Beckmann. Ich bin im 5. Weiterbildungsjahr zum Facharzt für Innere Medizin und habe zusätzlich 1 Jahr in der Unfallchirurgie und 1,5 Jahre in der Psychosomatik gearbeitet, außerdem die Zusatzweiterbildung Notfallmedizin erlangt.

MK: Wann und wo waren Sie in Bangladesch tätig?

KB: Ich war vom 16.12.22–27.01.23 in Srimangal im Nordosten von Bangladesch in einem Projekt von German Doctors  tätig.

MK: Beschreiben Sie bitte das Projekt, in dem Sie gearbeitet haben.

KB: Der Standort Srimangal liegt in einem großen Teeanbaugebiet, wo Mitglieder einer indischen Minderheit für umgerechnet 1,50 € am Tag auf den Teeplantagen arbeiten. Die Familien haben oft nicht mehr als ein Einkommen von 50–100 € pro Monat, sodass für Arztbesuche oder Medikamente nur wenig Spielraum ist. In dem Projekt wird mittels Fragebögen ein „Social Screening“ durchgeführt, damit wirklich nur bedürftige Familien Zugang bekommen. Die Projekte von German Doctors bieten unentgeltlich allgemeinmedizinische Versorgung und Medikamente an. So können chronische Krankheiten (Hypertonie, Diabetes, Rückenbeschwerden, Arthrose, COPD etc.) kostenlos behandelt werden. Notfälle kommen selten in die Projekte und werden an die nächstgelegenen Krankenhäuser weitergeleitet. Ich musste also keine Operationen durchführen, Geburten begleiten oder anderweitige potenziell überfordernde Situationen meistern. Das Patientenspektrum war dafür aber sehr breit: Das Alter variierte von 10 Tagen bis 83 Jahre. Von Panaritium über Tuberkulose bis Depression war alles dabei.

MK: Wie sah ein gewöhnlicher ärztlicher Arbeitstag für Sie aus?

KB: Die Arbeitstage waren von 9 bis 17 Uhr angesetzt. Es gab eine Mittagspause von ca. 1 h, die ich in meiner Unterkunft verbringen konnte. Das Projekt selbst war auf einer umzäunten Anlage angesiedelt, die ein Kirchengebäude, eine Schule, meine Unterkunft mit mehreren Gästezimmern und die „Praxis“ beinhaltete. Je nach Witterungslage warteten die ersten Patient*innen schon um 9 Uhr (bei Sonne) oder kamen erst nach und nach ab 11 Uhr (bei Nebel und Kälte). Alle Patient*innen hatten eine persönliche Patientenakte in Form eines kleinen Hefts. Zunächst fand eine kurze Triage mit Messung von Blutdruck, Blutzucker, Körpertemperatur und Körpergewicht statt. Meistens wurden die Patient*innen dann in der Reihenfolge der Ankunftszeit vorgestellt.

In der Regel sind zwei Ärzt*innen aus dem deutschsprachigen Raum auf den Projekten eingesetzt. Krankheitsbedingt musste meine Kollegin leider kurzfristig abspringen, sodass ich mit einer jungen ärztlichen Kollegin aus Srimangal zusammengearbeitet habe, die gut Englisch sprach und mit der auch ein reger Austausch möglich war. Insbesondere bei den vielen dermatologischen, pädiatrischen und gynäkologischen Fragestellungen habe ich mir viel Unterstützung eingeholt.

Die Anamnese erfolgte mithilfe von zwei Übersetzer*innen, die unterschiedlich gut Englisch sprachen. Für weiterführende Diagnostik, wie Labor, Röntgen oder auch Sonografie, mussten Überweisungen erstellt werden, die die Patient*innen leider dann auch selbst bezahlen mussten. Sie haben die Überweisung deswegen meistens abgelehnt, sodass wir uns auf eine gute Anamnese und die körperliche Untersuchung verlassen mussten. Die medikamentösen Therapieoptionen waren dank einer gut sortierten Apotheke ausreichend.
Kleinere Wunden konnten bei uns desinfiziert und neu verbunden werden. Für Verbandswechsel oder auch neue Medikamente mussten sich die Patient*innen aber immer wieder vorstellen. Für kleinere chirurgische Eingriffe (Panaritium, kleine Abszesse etc.) waren sterile chirurgische Sets vor Ort, die jedoch nur selten zum Einsatz kamen.

MK: Welche Fähigkeiten sollte man für diese ärztliche Tätigkeit in Bangladesch mitbringen?

KB: Sehr wichtig sind gute Englischkenntnisse. Man sollte viel Geduld für ungewohnte Arbeitsstrukturen mitbringen und flexibel und anpassungsfähig bezüglich einer ungewohnten Arbeitsumgebung sein (andere Hygienestandards, offene Räume, keine Klimatisierung). German Doctors stellt für Ärzt*innen ein Booklet mit den gängigsten Krankheiten und deren Diagnostik sowie Therapiealgorithmen zur Verfügung. Zusätzlich hilfreich sind Online-Angebote (AMBOSS, Deximed etc.). Der Internetzugang war dank WLAN und guter Internetabdeckung im ganzen Land gewährleistet. Das Spektrum an Krankheiten beinhaltete allerdings fast jede klinische Fachrichtung und jedes Patientenalter, sodass hier vermutlich Allgemeinmediziner*innen die besten Voraussetzungen haben. Ich habe in den Vorbereitungskursen (2 Wochenenden, auch online möglich) aber auch Kolleg*innen aus anderen Fachbereichen kennengelernt. Die Projekte haben in der Regel nicht den Anspruch, die medizinische Versorgung einer Region vollständig abzudecken. Die meisten Projekte von German Doctors befinden sich in Regionen, die über eine medizinische Infrastruktur verfügen, die aber aus Kostengründen der Bevölkerung nur eingeschränkt zur Verfügung steht.

MK: Haben Sie bei Ihrer Tätigkeit in Bangladesch auch für Ihre jetzige ärztliche Arbeit dazugelernt?

KB: Ich habe 6 Wochen lang fast vollständig auf apparative Diagnostik verzichtet. Es war erstaunlich gut möglich, anhand von Vitalparametern, Anamnese und körperlicher Untersuchung eine zufriedenstellende medizinische Versorgung sicherzustellen. Der Kontrast zu Deutschland ist erschreckend. Die Überversorgung in unserem Gesundheitssystem, aber auch der Anspruch an Diagnostik und Therapie, den viele Patient*innen stellen, sind nicht vergleichbar mit der medizinischen Versorgung in den meisten anderen Ländern unserer Welt. In Srimangal waren die Menschen häufig sehr dankbar und zurückhaltend. Dennoch gab es viele Fälle, in denen ich mir aktuelle Blutwerte, ein Röntgen-Thorax oder auch eine Abdomen-Sonografie sehr gewünscht hätte. Viel dazulernen konnte ich in den Bereichen Pädiatrie, (Mangel-)Ernährung, Dermatologie und Venerologie.

MK: Haben Sie auch negative Erfahrungen gemacht und, wenn ja, welche?

KB: Das Bildungsniveau des völlig überbevölkerten Landes (160 Mio. Einwohner ca. auf der Fläche von Bayern, Hessen und Baden-Württemberg) ist leider sehr niedrig, und auch unter Akademiker*innen sind die Englischkenntnisse sehr gering. Aufgrund der Armut und der schweren Arbeit greifen viele Menschen zu der Alltagsdroge Betelnuss, die günstiger als Rauchen ist, und leicht euphorisierend und antriebssteigernd wirkt. Sie führt aber zu Zahnausfall und chronischer Gastritis und ist stark kanzerogen. Interventionen wie Lifestyle-Change (Sport, Übungen bei Rückenbeschwerden, Änderung der Essgewohnheiten etc.) oder auch Ermutigung zur Abstinenz von Betelnuss, Rauchen oder Süßspeisen wurden selten umgesetzt. Auch die Adhärenz bei dauerhafter medikamentöser Therapie musste durch regelmäßige Wiedervorstellungen gesichert werden.

MK: Was können Sie uns über German Doctors  erzählen?

KB: Dieser rein durch Spenden finanzierte Verein versucht, hausärztliche Versorgung in strukturschwachen Entwicklungs- und Schwellenländern zu etablieren. Ehrenamtliche Ärzt*innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sind jeweils für 6 Wochen in unterschiedlichen Projekten eingesetzt. Die Projekte befinden sich meistens in Slums, Townships oder in unterversorgten ländlichen Regionen. Das Projektteam besteht hauptsächlich aus Einheimischen einschließlich einheimischen Ärzt*innen. Neben Bangladesch gibt es noch mehrere Projekte in Kenia, Indien, Philippinen, Sierra Leone und Griechenland.

MK: Was sind die offiziellen Voraussetzungen für einen Einsatz mit German Doctors?

KB: Vorausgesetzt werden mindestens drei Jahre Berufserfahrung, Ersteinsatz bis zur Vollendung des 70. Lebensjahrs sowie gute Englischkenntnisse. Je nach Projekt muss man eine Einsatzkostenpauschale zahlen, für Bangladesch 795 €. Darin sind der Flug und der Transfer in Deutschland und vor Ort enthalten. Vor Ort arbeitet man für Kost und Logis.

MK: Würden Sie einen solchen Einsatz noch einmal mitmachen und, wenn ja, wo?

KB: Ich kann mir gut vorstellen, noch einmal mit German Doctors in Srimangal oder auch in einem anderen Projekt auf den Philippinen oder in Kenia eingesetzt zu werden. Die Erfahrungen, die ich sammeln konnte, waren die unbezahlten Urlaubstage, das gesundheitliche Risiko und auch die fehlende Vergütung uneingeschränkt wert. Die Horizonterweiterung, der man sich bei einem solchen Einsatz in einem Schwellen- oder Entwicklungsland nicht entziehen kann, hat mir persönlich mehr Gelassenheit und Toleranz im Arbeitsalltag gebracht. An der Gastfreundschaft und Herzlichkeit der Bengalen können wir uns ein Beispiel nehmen, und die bengalische Küche sollte auch hierzulande bekannter werden. Vergleiche zwischen Bangladesch und Deutschland sind natürlich nur bedingt möglich. Dennoch musste ich oft denken: „Mensch, geht es uns gut in Deutschland.“

MK: Herr Dr. Beckmann, ich danke Ihnen für die Teilnahme an diesem Interview.

 

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