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Interview mit Frau Dr. Audrey Faurite aus Lyon zum Schwangerschaftsabbruch in der Hausarztpraxis in Frankreich

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Marlies Karsch: Frau Dr. Faurite, Sie haben als Fachärztin für Allgemeinmedizin in Frankreich medikamentöse und operative Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen. Hierzu möchte ich Ihnen für unsere Leser*innen einige Fragen stellen.
Können Sie sich bitte kurz vorstellen?

Dr. Audrey Faurite: Ich bin Allgemeinmedizinerin und praktiziere seit zehn Jahren in der Region Lyon. Ich habe meine Ausbildung durch eine einjährige Zusatzweiterbildung zum Thema Verhütung, Schwangerschaftsabbruch und Sexualität ergänzt. In dieser Zeit fand ich heraus, dass Allgemeinmediziner*innen, sofern sie die entsprechenden Kenntnisse erwerben, die Möglichkeit haben, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Meine Schwerpunkte als Allgemeinärztin sind die Pädiatrie und Gynäkologie: Ich habe ein Jahr lang im Krankenhaus in einem Zentrum für Geburtenkontrolle gearbeitet und war auch in der Familienplanung tätig.

MK: In welchem Maß werden in Frankreich generell Gynäkologie und Schwangerenvorsorge von Hausärzt*innen übernommen?

AF: Da das Fachgebiet der Gynäkologie immer weniger vertreten war (aufgrund von Quotenfragen bei der Prüfung zum Eintritt in die Weiterbildung), können Allgemeinmediziner*innen, wie auch niedergelassene Hebammen, die klassische Schwangerenvorsorge übernehmen: Schwangerschaftsbetreuung bei nicht pathologischen Schwangerschaften sowie Vorsorgeuntersuchungen bei Säuglingen. Allgemeinmediziner*innen, die sich während ihrer Assistenzarztzeit gynäkologisch weitergebildet haben, können die klassische gynäkologische Vorsorge durchführen: Abstriche, Verschreibung von Verhütungsmitteln, Einsetzen und Entfernen von Spiralen und von Implantaten sowie Abtasten der Brust. Da das Thema Endometriose immer häufiger angesprochen wird, bieten Allgemeinmediziner*innen Aufklärung zu dem Thema.

MK: Werden medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche in Frankreich üblicherweise von Hausärzt*innen durchgeführt?

AF: Der Anteil der medikamentösen Abtreibungen nimmt seit 1998 immer mehr zu. Seit 2004 sind medikamentöse Abtreibungen im niedergelassenen Bereich (in gynäkologischen und allgemeinmedizinischen Praxen) erlaubt. Ambulant durchgeführte medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche sind noch in der Minderheit. Sie werden häufiger von Patientinnen aus höheren sozialen Schichten, die besser informiert sind, in Anspruch genommen. Eine statistische Untersuchung aus dem Jahr 2019 ergab, dass von allen niedergelassenen Ärzt*innen, die medikamentöse Abtreibungen durchführen, 35 % Allgemeinmediziner*innen waren. Die Mehrheit waren entsprechend Gynäkolog*innen.

MK: Welche Zusatzqualifikationen sind dafür nötig?

AF: Als Allgemeinmediziner*in muss man eine Kooperation mit einem Krankenhaus eingehen, in dem Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden und an welches man die Patientinnen im Falle einer Komplikation verweisen kann. Ein spezielles Diplom über Schwangerschaftsabbrüche gibt es nicht. Es ist jedoch besser, wenn man ein wenig Erfahrung in der Gynäkologie hat.

MK: Werden operative Schwangerschaftsabbrüche in Frankreich ebenfalls von Hausärzt*innen durchgeführt?

AF: Nein, sie werden hauptsächlich von Gynäkolog*innen durchgeführt. Allgemeinmediziner*innen stellen 11 % der Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen (sowohl im Krankenhaus als auch in der Praxis).

MK: Welche Zusatzqualifikationen sind dafür nötig?

AF: Um chirurgische Abtreibungen durchzuführen, kommt es vor allem auf die praktische Erfahrung an: Ich selbst habe während einer Hospitation unter der Aufsicht eines erfahrenen Arztes bei chirurgischen Schwangerschaftsabbrüchen zugesehen und diese dann selbst durchgeführt. Ich wurde von einem 75-jährigen Allgemeinmediziner ausgebildet, der seine ganze Karriere lang Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen hatte, sogar bevor das Veil-Gesetz (Anm. d. Red.: Gesetz zur Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruches in Frankreich, 1975) verabschiedet wurde. Vorteilhaft ist eine Ausbildung im Ultraschall, insbesondere zur Überprüfung der Gebärmutter auf vollständige Entleerung am Ende des Schwangerschaftsabbruchs oder bei einer Kontrolluntersuchung, aber es ist nicht zwingend erforderlich.

MK: Bis zu welcher Schwangerschaftswoche dürfen in Frankreich medikamentöse und operative Schwangerschaftsabbrüche erfolgen?

AF: Seit dem Gesetz vom 2. März 2022 wurde die Frist für den chirurgischen Schwangerschaftsabbruch von 14 auf 16 Amenorrhö-Wochen (d. h. 14 Schwangerschaftswochen) verlängert. Für den medikamentösen Abbruch beträgt die Frist bis zu 9 Amenorrhö-Wochen (7 Schwangerschaftswochen), unabhängig davon, ob der Abbruch im ambulanten Bereich oder im Krankenhaus vorgenommen wird.

MK: Gibt es insgesamt mehr operative oder medikamentöse Abbrüche?

AF: Im Jahr 2021 waren 75 % der durchgeführten Abtreibungen medikamentöse Abtreibungen (sowohl im Krankenhaus als auch in Praxen).

MK: Welche Erfahrungen haben Sie als Hausärztin mit der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen gemacht?

AF: Ich habe ein Jahr lang in einem Krankenhaus in einer Abteilung für Schwangerschaftsabbrüche gearbeitet, wo ich Beratungen vor dem Schwangerschaftsabbruch, Kontrolluntersuchungen und chirurgische Abbrüche unter Lokalanästhesie durchgeführt habe. Außerdem habe ich als Vertretung zwei Patientinnen betreut, die ambulant einen medikamentösen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen wollten.

MK: Halten Sie es für empfehlenswert, dass Schwangerschaftsabbrüche von Hausärzt*innen vorgenommen werden?

AF: Schwangerschaftsabbrüche im niedergelassenen Bereich sind in der Tat sehr interessant, da sie eine schnellere Behandlung für die Patientinnen ermöglichen. Aber die Patientin muss sozial gut begleitet und nicht isoliert sein, und sie darf nicht mehr als 30 Minuten von einer Gesundheitseinrichtung entfernt wohnen, für den Fall, dass eine Blutungskomplikation auftritt. Bei chirurgischen Abbrüchen ist es nicht unmöglich, aber schwieriger: Man braucht ein gutes Team, falls eine Komplikation auftritt: Mir erscheint wichtig, dass Gynäkolog*innen vor Ort sind und im OP helfen können, denn Allgemeinmediziner*innen haben in der Regel keine umfassende chirurgische Ausbildung. Die Aspiration selbst ist einfach, aber jede Gebärmutter und jeder Gebärmutterhals ist anders, und es kann mehr oder weniger kompliziert sein, z. B. bei der Erweiterung des Gebärmutterhalses.

MK: Was sind die Gründe dafür, dass Sie als Allgemeinärztin jetzt keine Schwangerschaftsabbrüche mehr durchführen?

AF: Ich habe in diesem Zentrum nicht weitergemacht, weil die chirurgische Methode unter örtlicher Betäubung für die Patientinnen sehr schmerzhaft war. Es gab keine Bereitschaft, Abtreibungen unter Vollnarkose durchzuführen. Ich hatte Patientinnen gehört, die unter Lokalanästhesie vor Schmerzen schrien, und wollte unter diesen Bedingungen nicht praktizieren.

MK: Frau Dr. Faurite, ich danke Ihnen für die Teilnahme an diesem Interview.

(Das Interview haben wir schriftlich geführt.)

Marlies Karsch (Chefredakteurin)

 

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