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Kein Kochrezept in der neuen Leitlinie zu chronischen Wunden

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Die neue S3-Leitlinie  mit dem sperrigen Namen „Lokaltherapie schwerheilender und/oder chronischer Wunden aufgrund von peripherer arterieller Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus oder chronischer venöser Insuffizienz“ wurde unter anderem in unseren Artikeln Ulcus cruris venosum, Wundinfektionen und Nicht heilende Wunden berücksichtigt. Wir hofften, Ihnen so konkretere Hinweise für die Therapie chronischer Wunden in der Hausarztpraxis geben zu können.

Die schlechte Nachricht zuerst: Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Die Empfehlungen der neuen Leitlinie basieren auf schwacher Evidenz und daher in den meisten Fällen auf einem Expertenkonsens. Es gibt in dieser Leitlinie leider keine konkreten praktischen Anleitungen für die Behandlung chronischer Wunden in der Hausarztpraxis. Die Leitlinien-Empfehlungen bleiben diffus und allgemein und sind teilweise eher banal. Beispielsweise soll laut Expertenkonsens vor Einleitung einer Therapie einer chronischen Wunde die zugrunde liegende Ursache abgeklärt werden und die Therapie von PAVK, chronisch venösen Insuffizienz oder Polyneuropathie leitliniengerecht erfolgen. Das ist für Ärzt*innen sowieso selbstverständlich und hilft nicht wirklich weiter.

Einige der Empfehlungen sind jedoch ganz hilfreiche Klarstellungen, basieren allerdings auch nur auf einem Expertenkonsens: Ein mikrobiologischer Abstrich ist bei chronischen und schwer heilenden Wunden nicht routinemäßig erforderlich. Solche Wunden sind meist von Mikroorganismen kolonisiert. Nur wenn eine Antibiotika-Therapie erwogen wird, sollen Krankheitserreger bestimmt und auf Resistenzen gegen antimikrobielle Substanzen getestet werden.

Im Rahmen des Verbandswechsels soll die Wunde regelmäßig mechanisch gereinigt werden, besonders bei avitalem Gewebe, Belägen, Fremdkörpern, Verunreinigungen und Exsudatresten im Wundbereich. Zur Wundreinigung sollten sterile wirkstofffreie Lösungen verwendet werden. Bei Verdacht auf Wundinfektion kann der Einsatz zugelassener Antiseptika erwogen werden (Empfehlungsgrad 0). Antiseptische Wirkstoffe werden nicht genannt.

Die von uns erhofften konkreten Empfehlungen von Wundauflagen für bestimmte Wundsituationen sind in der Leitlinie also nicht enthalten. Wir haben daher auf der Basis weiterer Quellen, beispielsweise in unserem Artikel Wundinfektionen, eine Übersicht über die Prinzipien der Wundversorgung erstellt. Die Wahl der Wundauflage erfolgt phasenadaptiert. In der Entzündungsphase kommen u. a. Superabsorber oder Alginate zum Einsatz, in der Granulations- bzw. Reparationsphase Hydrokolloidverbände oder Schaumstoffe. Bei tiefen Wunden sollte der Kontakt des Wundverbandes mit dem Wundgrund sichergestellt sein, damit keine Hohlräume entstehen.
Nicht empfohlen sind silberhaltige Wundauflagen oder antibiotikahaltige Salben. Jodhaltige Wundauflagen sollen in der Schwangerschaft oder bei Hyperthyreose nicht verwendet werden. Sie haben außerdem eine zytotoxische Wirkung.

Bei einer Umgebungsphlegmone und/oder systemischen Infektionszeichen besteht eine Indikation zur antibiogrammgerechten systemischen Antibiotikagabe. Beispielsweise bei Immunsuppression oder Durchblutungsstörungen sollten Antibiotika parenteral verabreicht werden. Die oben beschriebene Leitlinie bezieht sich nur auf die Lokaltherapie und enthält somit keine konkreten Hinweise für die systemische Antibiotikatherapie. Die Leitlinie der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie  „Kalkulierte parenterale Initialtherapie bakterieller Erkrankungen bei Erwachsenen“ mit Empfehlungen zur empirischen Antibiotikatherapie ist leider abgelaufen.

Wie sind also chronische Wunden in der Hautarztpraxis zu versorgen. Was ist richtig, was ist falsch? Es ist sicher hilfreich, an Fortbildungen zu diesem Thema teilzunehmen und, falls möglich, auch einmal in einer chirurgischen Praxis zu hospitieren. Angesichts des großen und unübersichtlichen Marktes für Wundprodukte ist es sinnvoll, sich innerhalb des Praxisteams auf wenige Produkte für bestimmte Wundtypen zu einigen und gemeinsam den Umgang damit zu besprechen und zu üben.

Marlies Karsch (Chefredakteurin)

 

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