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Geflüchtete als Patient*innen

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Aufenthaltsstatus und Krankenversicherung in Deutschland

  • Lokale Beratungsstellen für Geflüchtete vor Ort (Flüchtlingsräte oder andere Organisationen) unter proasyl.de  und Informationen zum Aufenthaltsstatus und weitere praktische Informationen unter proasyl.de 
  • Weitere Informationen beim Informationsverbund Asyl & Migration (asyl.net ), beim Bundesinnenministerium (germany4ukraine.de ) und beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (bamf.de )

Abrechnung und Verordnung in der Hausarztpraxis

Informationen und Materialien zu COVID-19, zur Impfung gegen COVID-19 und zu Impfungen allgemein

  • In der Ukraine werden die Impfstoffe CoronaVac (Sinovac) und Sputnik V eingesetzt.
  • Impfempfehlungen für Geflüchtete aus der Ukraine: rki.de  weitere Informationen in der RKI-Dokumentensammlung Flucht und Impfen .
  • Aufklärungsmerkblatt zur Impfung gegen COVID-19 mit einem mRNA-Impfstoff auf Ukrainisch: rki.de 
  • Impfkalender der STIKO auf Ukrainisch: rki.de  
  • Informationsmaterialien zum Schutz vor COVID-19 auf Ukrainisch: www.bzga.de 
  • Ukrainischer Impfkalender: Ministry of Health of Ukraine 

Informationen für geflüchtete Frauen und Mädchen

  • Es gibt immer wieder Hinweise, dass vorgeblich hilfsbereite Männer versuchen, die Notlage von aus der Ukraine geflüchteten Frauen und Mädchen auszunutzen.
  • Sicherheitsinformationen für Frauen und Mädchen: jadwiga-online.de 
  • Informationen zum Schutz vor Ausbeutung und Menschenhandel auf der Flucht. kok-gegen-menschenhandel.de 
  • Hilfe bei Gewalt gegen Frauen und für Schwangere in Not: kbv.de 

Informationen für geflüchtete Familien, Mütter und Schwangere

Informationen und Hilfe für psychisch traumatisierte Personen

  • Telefonseelsorge Doweria (Beratung auf Russisch): diakonie-portal.de 
  • Telefonsprechstunde bei „Zentrum Überleben“ (Sprachangebot nicht bekannt; Unterstützung für traumatisierte Geflüchtete, die therapeutische und medizinische Hilfe benötigen): ueberleben.org 
  • Suche nach qualifizierten Trauma-Therapeut*innen auf der Seite der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie: TherapeutInnen-Suche 
  • Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK): Ratgeber für geflüchtete Eltern mit traumatisierten Kindern (auf Ukrainisch und Russisch) elternratgeber-fluechtlinge.de  
  • Max-Planck-Institut (MPI) für Psychiatrie: Kurzfilme über körperliche und psychische Erkrankungen und Möglichkeiten der Selbsthilfe für Geflüchtete mit ukrainischen und russischen Untertiteln psych.mpg.de/refpsych 

Informationen für Geflüchtete mit Diabetes mellitus und ihre Angehörigen

  • Nationales Diabetesinformationsportal stellt unter diabinfo.de  folgende Informationsmaterialien auf Ukrainisch zur Verfügung (auf Russisch unter diabinfo.de/ru ):
    • mehrsprachige Materialien zu Diabetes
    • Allgemeines zur Diabetes-Versorgung geflüchteter Menschen
    • Diabetes Typ 1 in Kindergarten und Schule
    • Ausbildung und Beruf: Was muss bei Diabetes beachtet werden?
    • Diabetes-Fachkräfte: Kommunikation mit Geflüchteten aus der Ukraine.

Informationen für Geflüchtete mit Behinderungen/Pflegebedarf

  • Bundeskontaktstelle des Deutschen Roten Kreuzes: Kostenlose Hotline für Geflüchtete aus der Ukraine mit Behinderungen und/oder Pflegebedarf drk-wohlfahrt.de/bundeskontaktstelle , Tel. +49 30 85 404 789.

Informationen zum Dolmetschen bei der ärztlichen Versorgung von Geflüchteten aus der Ukraine

  • Grundsätzlich ist es empfehlenswert, einen Dolmetscherdienst, ehrenamtlich dolmetschendes medizinisches Personal oder ehrenamtliche Dolmetscher*innen hinzuzuziehen.
  • Dolmetschen durch Begleitpersonen in einem Arzt-Patienten-Gespräch sollte nur eine Notlösung sein (Schweigepflicht!).
    • Telefonische Dolmetsch-Nothilfe bei Triaphon: Zusammenarbeit mit Kliniken und Praxen möglich. Triaphon.org .
    • Für Ärzt*innen und Praxisteams in Bayern: Ukraine-Hilfetelefon (089 54 49 71 99 oder ukraine-hotline@freie-wohlfahrtspflege-bayern.de), die Mitarbeiter*innen sprechen Ukrainisch, Russisch, Englisch und Deutsch.
  • Nach dem AsylbLG  haben Geflüchtete die Möglichkeit, die Kostenübernahme von Dolmetscherleistungen bei der zuständigen Sozialbehörde zu beantragen.
  • Smartphone-Apps zur Übersetzung
    • Unsicher, ob ein sicherer Datenschutz bei diesen Anbietern gewährleistet ist, deswegen die untenstehenden Apps eher zur Klärung organisatorischer Fragen als für Arzt-Patienten-Gespräche heranziehen.
    • Android und iPhone
      • „Google Übersetzer“ (Ukrainisch und Russisch): über Funktion „Unterhaltung“ simultane Übersetzung mit Sprachausgabe möglich
      • „Microsoft Translator“ (Ukrainisch nur mit Texteingabe und Russisch mit Simultanübersetzung)
      • „Sofortige Sprachübersetzung“ (Ukrainisch und Russisch, gratis): simultane Übersetzung mit Sprachausgabe möglich
      • „Say Hi“ (Ukrainisch und Russisch, gratis): noch keine automatische Spracherkennung für Ukrainisch
    • iPhone 
      • „Apple Übersetzen“ (nur Russisch): über Funktion „Konversation“ simultane Übersetzung mit Sprachausgabe möglich
  • Online-Übersetzer für schriftliche Texte (nur Russisch, bis zu einem gewissen Umfang gratis): deepl.com 

Allgemeine Informationen

Definition

  • Definition der Vereinten Nationen
    • Geflüchtete sind Personen, die „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befinden, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen können oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen wollen“. 1
  • Wir verwenden generell den Begriff „Geflüchtete“; sofern der Aufenthaltsstatus relevant ist, „Asylsuchende“, „Asylantragsteller*in“ oder „Asylbewerber*in“. Der Begriff „Flüchtlinge“ wird nur verwendet, wenn er in juristischen oder anderen Texten, die wir als Quelle verwenden, so vorkommt, z. B. „anerkannter Flüchtling“.

Häufigkeit

  • 2015 waren weltweit mehr als 65 Mio. Menschen zur Flucht gezwungen – die höchste jemals verzeichnete Zahl. 2
  • Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge wurden 2015 441.899 Asylanträge gestellt, nach rückläufigen Zahlen in den Folgejahren, im Jahr 2018 185.853. In den Monaten Januar bis Mai 2019 waren es 63.703 Asylerstanträge. 3
    • Im bisherigen Berichtsjahr 2019 waren 13.289 der Asylerstantragstellenden (20,9 %) in Deutschland geborene Kinder im Alter von unter einem Jahr.
    • Die Mehrheit der Antragsstellenden 2019 war unter 30 Jahren (73,5 %), 48,2 % unter 18 Jahren. 
    • Die Mehrheit der Asylantragsteller*innen von Januar bis September 2019 war männlich (57,4 %).
    • 2016 haben 35.939 unbegleitete Minderjährige einen Asylantrag gestellt. 4
  • Die meisten Asylantragsteller*innen in Deutschland kamen 2019 aus Syrien, Irak, Nigeria, Türkei, Iran und Afghanistan. 3

Rechtliche Grundlagen

Informationen zu rechtlichen Hintergründen des Asylverfahrens

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz. 4
  • Asylrecht für politisch Verfolgte ist ein im Grundgesetz verankertes Grundrecht.
  • Verweisung an die nächstgelegene Erstaufnahme-Einrichtung, wenn eine Person mit ausländischer Staatsangehörigkeit gegenüber deutschen Behörden (z. B. Grenzbehörden, Ausländerbehörden) den Wunsch äußert, in Deutschland Asyl zu beantragen.
  • Die Erstaufnahme-Einrichtung kümmert sich um die Unterbringung und informiert die nächstgelegene Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge.
  • Asylsuchende müssen bei dieser Außenstelle persönlich einen Asylantrag stellen.
  • Unbegleitete Minderjährige nimmt das zuständige Jugendamt in Obhut und stellt sie unter Vormundschaft.
  • Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entscheidet über jeden Asylantrag (nach einer inhaltlichen Prüfung und einer persönlichen Anhörung). Mögliche Sachentscheidungen (in Klammern die Zahlen von Januar bis September 2018): 3
    • Anerkennung als Asylberechtigte (1,3 %)
      • Aufenthaltserlaubnis für 3 Jahre, danach in der Regel Niederlassungserlaubnis mit unbefristetem Aufenthalt
    • Anerkennung als Flüchtling (17 %)
      • Aufenthaltserlaubnis für 3 Jahre, danach in der Regel Niederlassungserlaubnis mit unbefristetem Aufenthalt
    • Gewährung von subsidiärem Schutz, nicht als Flüchtling anerkannt, aber im Herkunftsland droht ernsthafter Schaden (11,4 %).
      • Aufenthaltserlaubnis für 1 Jahr, kann verlängert werden.
    • Ablehnung des Asylantrags
      • Abschiebungsverbot, wenn im Herkunftsland konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht (4,6 %).
      • Ausreisaufforderung mit Abschiebungsandrohung (35,2 %)
  • Möglichkeit des Einspruchs gegen die Entscheidung

Medizinische Versorgung von Flüchtlingen und Asylbewerbern nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)

Versorgungs- und Versicherungsstatus

  • Eingangsuntersuchung in der Erstaufnahmeeinrichtung
    • Kostenträger: Gesundheitsamt (GOÄ)
  • Asylbewerber*innen, die eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) besitzen und deren Ehegatten, Lebenspartner*innen oder minderjährige Kinder.
    • bis 15 Monate Aufenthalt
      • Kostenträger: Sozialhilfeträger
      • Nachweis/Abrechnung
        • Behandlungsschein (vom zuständigen Sozialhilfeträger ausgestellt)
        • Über diesen Behandlungsschein werden ärztliche Leistungen nach EBM abgerechnet.
        • Überweisung: Überweisungsschein und Kopie des Behandlungsscheins ausreichend
        • Notfallbehandlung: Abrechnung auf Notfall-/Vertreterschein, sofortige Eilanzeige beim zuständigen Sozialamt (14 Tagesfrist) notwendig
        • Krankenhauseinweisung außer im Notfall nur mit Zustimmung des Sozialhilfeträgers
    • ab 15 Monate Aufenthalt in Deutschland (abhängig vom Bundesland 4)
      • Kostenträger: gesetzliche Krankenkasse (GK), Sozialamt erstattet der GK die Behandlungskosten. 4
      • Nachweis/Abrechnung: elektronische Gesundheitskarte
      • In einigen, aber nicht allen, Bundesländern (Bremen, Berlin, Hamburg, Schleswig-Holstein, Brandenburg, Thüringen) erhalten Asylsuchende schon vor Ablauf der 15 Monate eine elektronische Gesundheitskarte. 
  • Unbegleitete Kinder und Jugendliche (Flüchtlinge)
    • Kostenträger: Sozialhilfeträger bzw. Jugendhilfeträger
    • Nachweis/Abrechnung
      • Behandlungsschein oder elektronische Gesundheitskarte nach Einzelfallentscheidung durch den Jugendhilfeträger
      • Überweisung nach Vorlage des Original-Krankenscheins bei den Ärzt*innen

Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt nach dem AsylbLG

  • Ärztliche und zahnärztliche Behandlung „akuter Erkrankungen und Schmerzzustände“
  • Schutzimpfungen und medizinisch gebotene Vorsorgeuntersuchungen zur Verhütung und Früherkennung von Krankheiten
  • Zahnersatz nur, wenn aus medizinischen Gründen nicht aufschiebbar
  • Ärztliche und pflegerische Hilfe sowie Hebammenhilfe für werdende Mütter und Wöchnerinnen
  • Personen, die „Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, wird die erforderliche medizinische Hilfe gewährt“.
Kritikpunkte 4
  • Asylsuchende ohne elektronische Gesundheitskarte müssen jeden Arztbesuch vorab bei der zuständigen Behörde, z. B. Sozialamt beantragen.
    • Erst dann können Sie einen Behandlungsschein erhalten.
  • Eine Ablehnung oder Bewilligung des Antrags liegt oft im Ermessen von medizinisch nicht fachkundigen Mitarbeiter*innen der Behörden.

Leistungen nach Erhalt der elektronischen Gesundheitskarte (nach 15 Monaten Aufenthalt) 4

  • Leistungsumfang bis auf einige Beschränkungen wie bei gesetzlich Krankenversicherten
  • Nicht übernommen werden:
    • künstliche Befruchtung
    • Disease-Management-Programme
    • Entbindungs- und Mutterschaftsgeld
    • Leistungen im Ausland.
  • In der Regel kein Anspruch auf (im Einzelfall Bewilligung nach Gutachten möglich):
    • Psychotherapie
    • Vorsorgekuren und Rehabilitationsmaßnahmen
    • Sehhilfen
    • Zahnersatz
    • kieferorthopädische Behandlung.
Kritikpunkte 4
  • Nur Kurzzeitpsychotherapie nach AsylLG möglich
  • Wesentlicher Hinderungsgrund für die Inanspruchnahme von Psychotherapien ist die unzureichend geregelte Kostenübernahme von Leistungen der Sprachmittlung.
  • Frühzeitige Behandlung von oft schwer traumatisierten Menschen erschwert, da psychosoziale Beratungszentren mehr Asylsuchende ablehnen müssen als aufgenommen werden können. Es gibt lange Wartelisten.
  • Problematisch ist das Fehlen kulturell validierter Screeninginstrumente.

Relevante Erkrankungen

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz. 4

Übertragbare Krankheiten

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz. 5
  • Gefährdung Asylsuchender grundsätzlich durch dieselben Infektionskrankheiten wie bei der in Deutschland lebenden Bevölkerung
  • Ansteckung mit meldepflichtigen Infektionskrankheiten in den meisten Fällen in Deutschland. D. h. Asylsuchende sind eher eine gefährdete Gruppe als eine Gruppe, von der für andere eine Gefahr ausgeht.
  • Besondere Vulnerabilität für Infektionskrankheiten durch schwierige Lebensbedingungen auf der Flucht, möglicherweise unvollständigen Impfschutz, Aufenthalt in Massenunterkünften:
    • am häufigsten Erkältungskrankheiten und Magen-Darm-Infekte
    • Aufgrund des häufigeren Vorkommens in Heimatländern tritt Tuberkulose bei Asylsuchenden häufiger auf.
    • Die häufigsten meldepflichtigen Infektionskrankheiten mit Ausbrüchen in Gemeinschaftseinrichtungen waren Windpocken, Skabies, MasernTuberkulose und Rotaviren-Gastroenteritis.
    • Die Prävalenz einzelner Infektionskrankheiten ist bei Asylsuchenden höher als in der Allgemeinbevölkerung: Tuberkulose, Hepatitis B und C. 6
  • Laut RKI besteht keine relevante Infektionsgefährdung der Allgemeinbevölkerung durch Asylsuchende.
    • Bei Mitarbeiter*innen und ehrenamtlichen Helfer*innen in Einrichtungen und Unterkünften für Asylsuchende ist von einem etwas erhöhten Infektionsrisiko auszugehen.
    • Deswegen sollte bei Helfer*innen der Impfschutz sichergestellt werden (Standardimpfungen nach STIKO-Empfehlungen und Hepatitis AB und Auffrischung gegen Polio).
  • Empfehlungen für Kinder 7

Psychische Erkrankungen

  • Infolge traumatischer Erfahrungen im Herkunftsland und auf der Flucht (Verlust von Angehörigen, Augenzeuge vom Tod anderer Flüchtender, Folter, Überfälle, sexuelle Übergriffe) ist das Risiko für posttraumatische Belastungsstörungen, Depression, Angststörungen, chronische Schmerzen und somatoforme Störungen erhöht.
  • Die Prävalenzen für psychische Erkrankungen schwanken je nach Erhebung sehr stark, sind aber bei Asylsuchenden im Vergleich zur deutschen Bevölkerung um ein Vielfaches höher.
  • Besonders viele unbegleitete Minderjährige haben traumatische Ereignisse erlebt.

Andere nichtübertragbare Krankheiten

  • Die Datenlage zu den Prävalenzen ist noch sehr unzureichend.

Medizinische Versorgung von Geflüchteten

In der Erstaufnahmeeinrichtung

  • Laut Asylgesetz  sind „Ausländer, die in einer Aufnahmeeinrichtung oder Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen haben, verpflichtet, eine ärztliche Untersuchung auf übertragbare Krankheiten einschließlich einer Röntgenaufnahme der Atmungsorgane zu dulden. [...] Das Ergebnis der Untersuchung ist der für die Unterbringung zuständigen Behörde mitzuteilen“.
  • Die Festlegung des Umfangs der Untersuchung liegt im Zuständigkeitsbereich der Bundesländer.
  • Der Umfang der Basisuntersuchung ist gesetzlich nicht vorgegeben. 7

Standardisierte Erstaufnahmeuntersuchung gemäß Asylgesetz

  • Hierfür empfiehlt das RKI folgende Mindeststandards: 8
    • Erhebung demografischer Angaben
    • Impfausweiskontrolle
    • Anamneseerhebung
    • Allgemeine, orientierende körperliche Untersuchung, dabei mindestens:
      • Temperaturmessung (axillär, aurikulär)
      • Inspektion von Gesicht und Hals auf akute Exantheme (zur Erkennung akuter Masern- oder Varizelleninfektionen)
      • Inspektion der Hände (Interdigitalräume) auf Skabies-Befall
    • abhängig von der Anamnese Untersuchung weiterer Körperregionen, z. B.:
      • Inspektion der Kopfhaare auf Lausbefall oder Nissen
    • Untersuchung auf eine infektiöse Lungentuberkulose
      • Röntgenthorax für Asylsuchende ab einem Alter von 15 Jahren
      • bei Schwangeren primär immunologische Diagnostik bzw. bei Symptomen Sputumuntersuchung
      • bei Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren immundiagnostisches Tuberkulosescreening mittels Tuberkulin-Hauttest (THT) oder Interferon-gamma Release Assay (IGRA) 7
  • Für die Erstaufnahmeuntersuchung von geflüchteten Kindern und Jugendlichen gibt es weitergehende Empfehlungen: 7

Impfempfehlungen für Geflüchtete

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz. 9
  • In Herkunftsländern ist der Zugang zu medizinischer Versorgung und Impfungen oft eingeschränkt.
  • Impfdokumente überprüfen. Nicht dokumentierte Impfungen gelten als nicht gegeben.
  • Asylsuchende sollen entsprechend den STIKO-Empfehlungen geimpft werden:
  • Wenn eine Umsetzung der STIKO-Empfehlungen in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften aus organisatorischen Gründen (z. B. kurze Verweildauer) nicht möglich ist, soll eine Priorisierung der Impfungen erfolgen.
  • Siehe Tabelle Priorisierung des Impfangebotes für ungeimpfte Asylsuchende mit unklarem Impfstatus am ersten Impftermin frühzeitig nach Ankunft .
  • Es gelten die STIKO-Empfehlungen zur Impfung gegen COVID-19 und es besteht Anspruch auf ein kostenloses Impfangebot. Siehe RKI-Dokument : Empfehlungen für Gesundheitsämter zu Prävention und Management von COVID-19-Erkrankungen in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften für Schutzsuchende (im Sinne von §§ 44, 53 AsylG)

In der Hausarztpraxis

Vorbereitung

  • Für die erste Untersuchung sollten Sie sich ausreichend Zeit nehmen und sichere Rahmenbedingungen schaffen.
  • Da traumatisierte Patient*innen häufig nur schwer Vertrauen fassen, sollte die vertrauensbildende Arbeit Vorrang haben.
  • Dolmetscher*in
    • Häufig besteht Bedarf an Dolmetscher*innen. Wichtig ist, dass die Dolmetscher*innen alles übersetzen, was gesagt wird, und die Regeln und ethischen Richtlinien für Dolmetscherdienste beachtet.
    • Siehe Hinweise zum Einsatz von Dolmetscher*innen
  • Interdisziplinäres Team
    • Die Behandlung und soziale Betreuung der Patient*innen erfordern häufig die Zusammenarbeit mehrerer Parteien (z. B. Sozialarbeiter*innen, Beratungsstellen für Flüchtlinge und Migrant*innen ).
    • Diese sollten so früh wie möglich einbezogen werden, um eine gute Koordination zu gewährleisten.

Beratungsanlässe

  • Daten aus einem deutschem Gesundheitsprogramm zur Versorgung Asylsuchender deuten darauf hin, dass sich Beratungsanlässe bei Asylsuchenden nicht wesentlich von denen in der Allgemeinbevölkerung unterscheiden. 10
    • Am häufigsten sind Erkrankungen des Muskel- und Skelettsystems, Erkrankungen der Atemwege und ärztliche Leistungen ohne Krankheitssymptome, z. B. Impfungen, Gesundheits- und Vorsorgeuntersuchungen. 
    • Häufig sind Schmerzsymptome (Kopfschmerz, Bauchschmerzen, Hals- und Brustschmerzen, Rückenschmerzen) akute Atemwegsinfektionen oder Virusinfektionen.
    • Infektiöse und parasitäre Erkrankungen machten 11 % aller Beratungsanlässe aus.
    • Die Anzahl von Patient*innen mit einer Diagnose aus dem Bereich psychische und Verhaltensstörungen lag in dieser Untersuchung unter der Rate in der Allgemeinbevölkerung, wobei vermutet wird, dass diese Diagnosen bei Asylsuchenden unterdiagnostiziert waren.
      • Hier gibt es auch Studienergebnisse aus anderen Stichproben, die darauf hindeuten, dass eine posttraumatische Belastungsstörung bei Asylsuchenden stark gehäuft auftritt.
      • Auch die Daten zu Depressivität sind widersprüchlich, teilweise werden hohe Prävalenzen berichtet.
    • Zahnkaries trat bei Asylsuchenden häufiger auf als in der Allgemeinbevölkerung.
  • Angst vor Abschiebung kann einen erheblichen Leidensdruck mit sich bringen. 11
    • Bei der Feststellung und Attestierung von gesundheitlichen Abschiebehindernissen sollte eine Zusammenarbeit mit den zuständigen Sozialbehörden und Beratungsstellen gesucht werden.

Anamnese

  • Das Vorgehen unterscheidet sich nicht grundsätzlich von dem bei anderen Patient*innen, auf einige gesundheitliche Probleme sollte im hausärztlichen Setting aber besonders geachtet werden:
  • Laut kanadischen Leitlinien wird für Geflüchtete ein Screening auf Depression empfohlen, mit dem PHQ-9 12 oder, besser realisierbar, mit dem 2-Fragen-Test. 11
    • Von einem Screening auf posttraumatische Belastungsstörung wird zur Vermeidung einer Retraumatisierung ebenso abgeraten wie von einem Routine-Screening auf Gewalterfahrungen bei Kindern. 12
  • Frauen im reproduktionsfähigen Alter sollen nach ihrem Bedarf für ein Verhütungsmittel gefragt werden. 12

Untersuchung

  • Laut kanadischer Leitlinien soll bei Geflüchteten aus Regionen mit hohem Diabetesrisiko (Südasien, Lateinamerika, Afrika) die Nüchternglukose bestimmt werden. 12 
  • Bei geflüchteten Frauen im reproduktionsfähigen Alter und bei Kindern zwischen 1 und 4 Jahren soll der Hämoglobinwert kontrolliert werden, um eine Eisenmangelanämie auszuschließen.  12
  • Alle Geflüchteten sollten nach Zahnschmerzen gefragt und auf das Vorliegen offensichtlicher kariöser Veränderungen untersucht werden.  12 
  • Alle Geflüchteten sollen einen Sehtest erhalten. 12 
  • Bei allen Geflüchteten ist, sofern nicht in der Erstaufnahmeeinrichtung erfolgt, baldmöglich nach Ankunft in Deutschland, ein Blutbild (Infektanämie? Leukozytose?) mit Differenzialblutbild (Eosinophilie?) als Basisdiagnostik empfohlen.  7
    • Nur bei Herkunft aus bestimmten Hochprävalenzgebieten sind weitere routinemäßige Blutentnahmen empfohlen:
      • HIV-Serologie (derzeit nur Länder in Sub-Sahara-Afrika)
      • HBs-Antigen (derzeit nur Länder in Sub-Sahara-Afrika)
      • Hepatitis C (östliche Mittelmeerregion).
  • Grundsätzlich soll bei der körperlichen Untersuchung auf Folgen von Kriegsverletzungen und Spuren von Folter sowie auf das Vorliegen einer Sucht- oder anderen schwerwiegenden Erkrankung geachtet werden. 11

Dokumentation

  • Es wichtig, alle Symptome und Auffälligkeiten in der Krankenakte so zu dokumentieren, dass die Informationen als Grundlage für Atteste und Gutachten (in Verbindung mit Asylanträgen, Anträgen auf Sozialleistungen usw.) und in evtl. Gerichtsverfahren verwendet werden können.

Indikationen zur Überweisung

Einsatz von Dolmetscher*innen

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz. 13

Voraussetzungen

  • Die Ärzt*innen tragen die Verantwortung dafür, dass die Patient*innen die Aufklärung zu ihrer Erkrankung verstanden haben und rechtssicher einwilligen können.
  • Vor Gericht wird auch das Dolmetschen durch Laien akzeptiert, wenn sich die Ärzt*innen vergewissert haben, dass eine adäquate Aufklärung gewährleistet ist.
  • Die Kostenübernahme für professionelle Dolmetscherdienste ist nicht geregelt.
    • Grundsätzlich tragen die Patient*innen die Kosten.
    • Nach dem AsylbLG  haben Geflüchtete die Möglichkeit, die Kostenübernahme von Dolmetscherleistungen bei der zuständigen Sozialbehörde zu beantragen.
    • Gesetzlich Krankenversicherte müssen die Kosten in der Regel selbst aufbringen.

Vorbereitung

  • Dolmetschen durch Laien kann nicht empfohlen werden.
    • Fehler durch Gefälligkeitsdolmetscher*innen aus dem Patientenumfeld sind zu vermeiden.
    • Durch Hinzuziehen von professionellen Dolmetscherdiensten wird die medizinische Versorgung nachweislich verbessert.
  • Dolmetscher*innen sollten mit der medizinischen Fachsprache in beiden Sprachen vertraut sein.
  • Falls Dolmetscher*innen lokal nicht verfügbar sind, kommen telefonische Anbieter oder Videodolmetschen infrage.
  • Dolmetscher*innen sollen besonders bei wichtigen, planbaren Gesprächen hinzugezogen werden:
    • Aufklärungsgespräche mit Einholen einer Einverständniserklärung
    • Einbeziehung in laufenden Behandlungsprozess
    • medizinische Begutachtungen
    • Herstellen eines Arbeitsbündnisses (Psychologie, Psychiatrie).
  • Die Dolmetscher*innen sollen vor dem Gespräch mitteilen, ob Besonderheiten, z. B. persönliche Bekanntschaft mit den Patient*innen oder politische oder religiöse Konflikte, bestehen.
  • Die Dolmetscher*innen müssen über die Einhaltung der Schweigepflicht informiert werden.

Während der Konsultation

  • Die Dolmetscher*innen sollen Redebeiträge unverändert weitergeben, auch unpassende, schambesetzte oder unlogische Aussagen.
  • Sie sollten in der ersten Person sprechen.
  • Zwischen Ärzt*in und Patient*in soll Blickkontakt bestehen, auch wenn die übersetzende Person spricht. Am leichtesten ist dies, wenn die Beteiligten in einem Dreieck sitzen.
  • Die Patient*innen sollten darum gebeten werden, sich kurz zu fassen, um das Dolmetschen zu erleichtern.

Weitere Informationen

Infomaterial für Ihre Praxis

Quellen

Literatur

  1. United Nations High Commissioner for Refugees. UNHCR: the 1951 refugee convention. Accessed May 2, 2016. www.unhcr.org  
  2. Edwards A. Global forced displacement hits record high. June 20, 2016. www.unhcr.org  
  3. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Aktuelle Zahlen zu Asyl. Ausgabe: Mai 2019. Tabellen, Diagramme, Erläuterungen. www.bamf.de  
  4. Frank L, Yesil-Jürgens R, Razum O et al. Gesundheit und gesundheitliche Versorgung von Asylsuchenden und Flüchtlingen in Deutschland. Journal of Health Monitoring 2017 2 (1). DOI 10.17886/RKI-GBE-2017-005 www.rki.de  
  5. Robert Koch-Institut (RKI): Antworten auf häufig gestellte Fragen (FAQ): Asylsuchende und Infektionskrankheiten. Stand: 22.1.2018. Letzter Zugriff am 11.10.2018 www.rki.de  
  6. Robert Koch-Institut (RKI): Bericht über meldepflichtige Infektionskrankheiten bei Asylsuchenden in Deutschland (17.1.2018). www.rki.de  
  7. Pfeil J, Kobbe R, Trapp S et al.. Empfehlungen zur infektiologischen Versorgung von Flüchtlingen im Kindes- und Jugendalter in Deutschland - Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie, der Gesellschaft für Tropenpädiatrie und Internationale Kindergesundheit und des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte. Monatsschr Kinderheilkd 2015; 163: 1269-86. doi:DOI 10.1007/s00112-015-0003-9 dgpi.de  
  8. Robert Koch-Institut (RKI): Vorscreening und Erstaufnahmeuntersuchung für Asylsuchende. Stand 20.11.2015. www.rki.de  
  9. Ständige Impfkommission: Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut. Epid Bull 2018;34:335-82. DOI 10.17886/EpiBull-2018-042.3 www.rki.de  
  10. Buhlinger-Göpharth N, Koehler M, Laux G et al.. Beratungsanlässe bei Asylsuchenden im Vergleich mit Routinedaten aus der primärärztlichen Versorgung. Z Allg Med 2017; 93(1): 24-31. doi:DOI 10.3238/zfa2017.0024-0031
  11. Egidi G, Popert U, Diederichs-Egidi H et al.. Medizinische Versorgung von Flüchtlingen - was ist in der Hausarztpraxis wichtig?. Z All Med 2016; 0 (7) : 1-6. doi:10.3238/zfa.2016.0295-0300 DOI  
  12. CMAJGroup. Evidence-based clinical guidelines for immigrants an refugees. CMAJ September 2011. 183 (12) E 824-E925; DOI: https://doi.org/10.1503/cmaj.090313 www.cmaj.ca  
  13. Holtel M, Weber H. Kommunikation - Falsche Gefälligkeiten. Deut Ärztebl 2018; 115;23.: A1138-39. www.aerzteblatt.de  
  • Marlies Karsch-Völk, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, München